Bielefelder Lehrer*innenbildung
Betreuende*r Dozent*in: Mahir Gökbudak
Studiengang: GymGe
Studienprojektvariante: Forschung in fremdem Unterricht
Methodische Umsetzung: qualitativ
Forschungsfrage
Welche Theorien und Modelle von Wirtschaft und Märkten lassen sich in Klausuren des Sozialwissenschaften-Leistungskurses finden und wie gehen die Schülerinnen und Schüler mit diesen um?
Das Studienprojekt befasst sich mit den Vorstellungen von Lernenden über Märkte und Wirtschaft, und wie diese zur Erklärung sozialer Ungleichheiten herangezogen werden. Ziel war es dabei die von den Schülerinnen und Schülern verwendete Konzeptionen von Märkten und Wirtschaft zu kategorisieren und hinsichtlich ihrer Reflexivität und Multiperspektivität zu vergleichen.
Die theoretische Grundlage für die Untersuchung stellten dabei die Zielvorstellungen der sozioökonomischen Bildung dar, welche ökonomische und soziale Zusammenhänge zu verbinden versucht. Mit Hilfe der qualitativen Inhaltsanalyse wurden Klausurtexte von Schülerinnen und Schülern eines Sozialwissenschaften-Leistungskurses analysiert, welche sich thematisch mit sozialer Schichtung und Ungleichheit auseinandersetzten.
Auffällig war, dass von den Schülerinnen und Schülern – abgesehen von einigen Ausnahmen – basierend auf Alltagserfahrungen nur ein enger theoretischer Zugang mit einer vorwiegend naturalistischen Perspektive auf Markt und Wirtschaft zur Erklärung herangezogen wurde.
Als Grundlage für das Analyseraster dienten Konzeptionen der sozioökonomischen Bildung. Es wurden verwendete Handlungstheorien, Wirtschaftsverständnisse, Marktverständnisse so wie der Grad an im Text präsentierter Multiperspektivität und Reflexivität (Fischer, Zurstrassen 2014; Hedtke 2014; Engartner 2018; Famulla 2019; Hedtke 2019; Graupe 2014) als theoretische Modelle angenommen.
Forschungsmethode: qualitativ
Es wurden Klausuren eines Sozialwissenschaften-Leistungskurses inhaltlich auf Vorstellungen von Märkten und Wirtschaft hin untersucht. Da der Textkorpus aus vier Klausuren bestand, welche das Wirtschaftsverständnis der Schülerinnen und Schüler nicht direkt zum Inhalt hatten, wurde eine strukturierte Inhaltsanalyse nach Mayring (2005) durchgeführt.
Für diese wurden die Klausuren mit einem deduktiv gebildeten Analyseraster mit den Kategorien „Verwendete Handlungstheorien“, „Wirtschaftsverständnisse“, „Marktverständnisse“ sowie „Grad an im Text präsentierter Multiperspektivität und Reflexivität“ untersucht.
Die Lernenden griffen größtenteils nur auf eine kleine Auswahl von theoretischen Perspektiven auf Märkte und Wirtschaft zurück, mit denen sie mutmaßlich im Unterricht vertraut geworden sind.
So wurde Wirtschaft meist als Problemstruktur für die Verteilung eines knappen Gutes aufgefasst, Märkte wurden größtenteils als natürliche Phänomene verstanden in welche regulativ eingegriffen werden müsse.
Überraschend war allerdings, dass vereinzelt auch Perspektiven eingenommen wurden, sich Wirtschaft als Kommunikationsmedium und Märkte als soziale Konstrukte beschreiben ließen. Diese Perspektiven erschienen dabei stark von lebensweltlicher Erfahrung geprägt zu sein und können als Anzeichen verstanden werden, dass die theoretische Perspektive auf Wirtschaft und Markt im Unterricht breiter gefasst werden könnte, um Lernenden auch für diese Phänomene Erklärungsansätze zu liefern.
Die Verwendung von Klausurtexten für die Forschung war eine Ausweichlösung, welche gewählt wurde, da sich auf Grund der Corona-Maßnahmen andere Erhebungsformen wie Interviews nicht anboten.
Die Klausurtexte waren allerdings überraschend ergiebig, vermutlich da die Schülerinnen und Schüler durch die Aufgabenstellung dazu angehalten waren, mit ihrem verfügbaren Wissen zu argumentieren und so auch entsprechend zur Argumentation herangezogene Vorstellungen über die Welt beleuchtet wurden.
Allerdings wurde während der Untersuchung immer wieder deutlich, dass es wünschenswerter gewesen wäre den Schülerinnen und Schülern selbst formulierte Fragen zu stellen, da die Klausur selbstverständlich für ein deutlich anderes "Analyseraster", nämlich ihren Erwartungshorizont, geschrieben wurde. Bei einer Wiederholung wäre es daher vorteilhafter mit einem Fragebogen oder einem Leitfrageninterview arbeiten zu können, hier ergeben sich schlicht mehr Möglichkeiten, gezielt den Fokus der Datenerhebung zu setzen.
Ein Vorteil der Klausuren ist jedoch, dass ein Observer-Effekt vermieden wird: da die Schülerinnen und Schüler zu dem Zeitpunkt, zu dem die Klausuren geschrieben wurden, nichts von dem Forschungsprojekt und dessen Fragestellung wussten, waren die untersuchten Texte in jedem Fall frei von Beeinflussung durch den Forschenden.
Engartner, T. (2014): Pluralismus in der sozialwissenschaftlichen Bildung. Berlin: Duncker & Humblot.
Engartner, T., G.-E. Famulla, A. Fischer, C. Fridrich, H. Hantke, R. Hedtke, B. Weber & B. Zurstrassen (Hrsg.) (2019): Was ist gute ökonomische Bildung? Leitfaden für den sozioökonomischen Unterricht.Frankfurt am Main: Wochenschau Verlag.
Engartner, T. (2018): Eckpfeiler sozioökonomischer Bildung - oder: Zur Bedeutsamkeit der Kontextualisierung ökonomischer Fragen und Problemstellungen. Wiesbaden: Springer VS, 27-53 .
Engartner, S. Graupe, C. Friedrich, R. Hedtke & G. Tafner (Hrsg.) (2018): Sozioökonomische Bildung und Wissenschaft: Entwicklungslinien und Perspektiven. Wiesbadem: Springer Fachmedien.
Engartner, T., R. Hedtke & J. Mayer (2018): Einleitung zu reader „Sozioökonomische bildung“ | sowi-online:https://www.sowi-online.de/reader/sozioökonomische_bildung/einleitung_zu_reader_„sozioökonomische_bildung“.html [Zugriff: 28.07.2020].
Famulla, G.-E. (2019): Sozioökonomische Bildung - Grundgedanken. In: Engartner, et al. (Hrsg.): Was ist gute ökonomische Bildung? Leitfaden für den sozioökonomischen Unterricht.Frankfurt am Main: Wochenschau Verlag. 19–31.
Fischer, A. & Zurstrassen, B. (2014): Annäherung an eine sozioökonomischen Bildung. In: A. Fischer & B. Zurstrassen (Hrsg.), Sozioökonomische Bildung. Bonn: bpb, Bundeszentrale für politische Bildung, 7-31.
Fridrich, C., Hedtke, R. & Ötsch, W. O. (2020): Grenzen überschreiten, Pluralismus wagen - Perspektiven sozioökonomischer Hochschullehre. Wiesbaden: Springer VS.
Graupe, S. (2014): Der kühle Gleichmut des Ökonomen: Leidenschaftslosigkeit als Paradigma der Wirtschaftswissenschaft und die Fragefelder der Sozio-Ökonomie. https://www.econstor.eu/bitstream/10419/191602/1/wps-oek04.pdf [Zugriff: 24.04.2021]