Das Projekt Europäische Union steht für die Aufhebung nationaler Grenzen. Doch jetzt sind die Grenzen zurück, Außengrenzen und überkommen geglaubte innere Grenzen. Diese Entwicklung ein Stück weit auszuleuchten, war das Ziel der diesjährigen, erneut gut besuchten, ZiF-Konferenz.
Es waren nicht die Nationen, die die Grenzen schufen, vielmehr wurden Grenzen festgelegt, in denen sich dann Nationen entwickelten, erklärte der Historiker Dieter Langewiesche (Tübingen) in seinem Auftaktvortrag. Er analysierte, wie Staaten- und Bürgerkriege homogene Nationen entstehen ließen, wie die Idee des homogenen Nationalstaats zur Leitidee in Europa wurde – und heute der Öffnung für Europa aber auch für Zuwanderung entgegensteht. Die Politologin Julia Schulze Wessel (Leipzig) betonte in ihrem Vortrag den ›Dazwischen‹-Charakter der Grenzen als ausschließende und einschließende, trennende und verbindende Einrichtung, die keiner der beiden Seiten, die sie begrenzen, zugehören. Und sie verwies darauf, dass mit Grenzen nicht nur territoriale Grenzen gemeint sind: Es gehe ebenso um Mitgliedschaftsgrenzen oder die Frage, was jemand leisten müsse, um als integriert zu gelten. Sabine Hess, Kulturanthropologin an der Universität Göttingen, analysierte den Wandel des Grenzregimes nach 2015. Sie konstatierte eine neue Art des Regierens »im Modus des Notfalls«, eine Fragmentierung und Chaotisierung der europäischen Grenzpolitik und die Bildung von exterritorialen Räumen. In der Folge müssten die analytischen und konzeptuellen Werkzeuge, die Forscher in den letzten 10 Jahren erarbeitet haben, zur Disposition gestellt werden, man müsse wieder ganz neu fragen, wie diese Entwicklungen, analytisch zu fassen seien. In einer lebhaft geführten Podiumsdiskussion sprachen die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan (Berlin), der ehemalige EU-Parlamentarier Elmar Brok und der Soziologe Thomas Faist (Bielefeld) über die politischen Lösungsvorschläge und Gestaltungsmöglichkeiten für den Umgang Europas mit seinen Grenzen.
13:00 | Begrüßung / Einführung Prof. Dr. Véronique Zanetti |
13:15 | Prof. Dr. Dieter Langewiesche, Geschichtswissenschaft, Tübingen „Europa der Nationen – Europa der Kontakte und der Grenzen“ Kommentar: Angelika Epple |
14:15 | PD Dr. Julia Schulze Wessel, Politikwissenschaft, Leipzig „Gewalt der Grenzen – Grenzen der Gewalt“ Kommentar: Oliver Flügel-Martinsen, Andreas Vasilache |
15:15 | Kaffeepause |
15:30 | Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Gesine Schwan, Berlin, Elmar Brok MdEP, Brüssel, Prof. Dr. Thomas Faist, Bielefeld Moderation: Manuela Lenzen |
16:45 | Prof. Dr. Sabine Hess, Kulturanthropologie, Göttingen „Nach 2015: Konturen des neuen Grenzregimes in Europa Kommentar: Kirsten Kramer |