Obwohl Inklusion seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention vor mehr als zehn Jahren im gesamten Schulsystem umgesetzt werden sollte und somit keine Neuheit darstellt, fühlen sich Lehrkräfte immer noch unzureichend auf inklusiven Unterricht vorbereitet. Gründe hierfür sind einerseits eine mangelhafte Professionalisierung und andererseits eine bisher nicht ausreichend entwickelte inklusive Fachdidaktik. Diese Probleme führen dazu, dass Lehrkräfte in für sie unsicheren Situationen agieren müssen. In diesen greifen sie auf berufsbezogene Überzeugungen (Beliefs) zurück, die ihnen Orientierung und Sicherheit bieten und so das professionelle Handeln leiten.
In dem Dissertationsprojekt wurden Beliefs von Lehrkräften (N = 17) zu inklusiver Begabungsförderung im Biologieunterricht erhoben, um Professionalisierungsbedarfe sowie Impulse für die Biologiedidaktik abzuleiten. Die qualitativ-explorativ ausgerichtete Interviewstudie verortet sich methodisch im Rahmen der Grounded Theory Methodologie. Ein Vergleich der Beliefs von Gymnasial- und Gesamtschullehrkräften offenbarte differente Perspektiven: Erstere besaßen weniger inklusive Überzeugungen als letztere. Die Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass die Beliefs der Lehrkräfte von den (Inklusion häufig behindernden) schulischen Rahmenbedingungen beeinflusst werden. Professionalisierungsbedarfe müssen somit vor diesem Hintergrund reflektiert werden. In Bezug auf die Biologiedidaktik konnten drei Säulen für inklusiv-begabungssensible Ansätze modelliert werden: 1) Förderung der Stärken aller Schüler*innen, indem vielfältige Zugangsweisen (z. B. praktisch, theoretisch, ästhetisch) zu einem gemeinsamen Lerngegenstand gestaltet werden, 2) Entfaltung biologisch-naturwissenschaftlicher Begabungen durch interessengeleitetes Lernen, 3) Förderung besonderer Begabungen im biologisch-naturwissenschaftlichen Bereich durch kumulatives, vertiefendes Lernen. Das erarbeitete Modell kann genutzt werden, um Maßnahmen inklusiver Begabungsförderung im Biologieunterricht mithilfe der drei Säulen zu planen und reflektieren. Die Arbeit leistet somit einen Beitrag zur Professionalisierungsforschung im Kontext inklusiver Bildung und zur Weiterentwicklung einer inklusiven, begabungssensiblen Biologiedidaktik.