Welche Fachkräfte schätzen mit welchen Praktiken, Instrumenten und Verfahren sowie in welchen institutionalisierten Netzwerken in Deutschland im ersten Lebensjahr Risiken, Belastungen und Unterstützungsbedarfe von Kindern und Eltern ein? Und wie werden diese Einschätzungen relevant für die Vermittlung in Frühe Hilfen oder andere Maßnahmen nach SGB VIII? Das Forschungsprojekt geht diesen Fragen nach und zielt auf eine qualitativ-empirische Rekonstruktion der (präventiven) Einschätzungen rund um die Geburt von Kindern. Ausgangspunkt des Projekts ist die Doppelausrichtung des BKiSchG, das 2012 in Kraft getreten ist, auf ein gleichzeitig enges, interventives und ein weites, präventives Verständnis von Kinderschutz. Diese Doppelausrichtung und die verstärkte Etablierung Früher Hilfen haben zu einer Ausdifferenzierung von Fallkategorisierungen und zu neuen Formen von interprofessioneller und -institutioneller Kooperation geführt. Während die Verfahren zur Einschätzung von Kindeswohlgefährdung in den letzten Jahren bereits relativ gut erforscht sind, mangelt es noch an qualitativer Grundlagenforschung zu den Praxen der Frühen Hilfen. Das Projekt fokussiert insbesondere diejenigen (professionellen) Unter- und Entscheidungen, die unterhalb der Eingriffsschwellen einer Kindeswohlgefährdung und eines gewichtigen Anhaltspunktes (also vor Ingangsetzung von Verfahren nach § 8a SGB VIII) angesiedelt sind. Es erforscht, wie Fallkategorisierungen, -zuständigkeiten und -abgrenzungen praktisch vorgenommen und kommunal organisiert werden und welche Probleme sich in diesem Zusammenhang zeigen.
Methodisch kommen ethnografische und dokumentenanalytische Zugänge zum Einsatz. Die Analyse richtet sich auf zwei miteinander verschränkte Fallebenen im Sinne einer institutional ethnography: 1. wird rekonstruiert, wie Kinder und ihre Familien im Kontext früher Hilfen mit Bezug auf Risiken in situ kategorisiert und dokumentiert werden und wie entwicklungs- und kindeswohlbezogene (Serien von) Unterscheidungen und Entscheidungen sowie Fallkonstruktionen und -prozessierungen in Bezug auf Familien praktisch hervorgebracht werden. 2. werden die praktischen, kommunal differierenden Verfahrenslogiken der Vermittlung in Frühe Hilfen und/oder andere Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe rekonstruiert. Diese Fallebene bezieht sich auf die Regulation und Organisation der interprofessionellen und interinstitutionellen Vernetzung von Frühen Hilfen und Kinderschutz. Die Felder der ethnografischen Exploration werden jeweils kontrastiv in den Netzwerken für Frühe Hilfen und Kinderschutz in Großstädten und Landkreisen ausgewählt.
Das Projekt leistet einen Beitrag zur Grundlagenforschung bezogen auf die Schnittstellen und Netzwerke von Frühen Hilfen und Kinderschutz. Es zielt auf theoretische Ergebnisse, die zeigen