Netzwerk zum Schreiben im Fachunterricht der gymnasialen Oberstufe (Sek. II)
Scaffolding ist seit Jahren ein äußerst populäres Thema in Lehrer:innenfortbildungen zur durchgängigen Sprachbildung. Die Metapher des Scaffolds, die mit dem Ausdruck „(Bau)Gerüst“ ins Deutsche übersetzt werden kann, wurde bereits Mitte der 1970er Jahre im Zusammenhang mit der Unterstützung von Lernprozessen bei Kleinkindern verwendet (Wood, Bruner & Ross, 1976). Von der internationalen Sprachdidaktik wurde der Begriff später adaptiert, um Wege aufzuzeigen, wie Zweitsprachen-Lerner:innen trotz eingeschränkter Sprachkenntnisse im Regelunterricht zurechtkommen können. Und doch geht es z. B. in Pauline Gibbons grundlegendem Buch mit dem Titel Scaffolding Language, Scaffolding Learning (2015) nicht nur um eine Didaktik für Zweitsprachen-Lerner:innen. Im Grunde geht es um ein zentrales Unterrichtsprinzip für in vielfältiger Weise sprachlich heterogene Lerngruppen. Aber was verbirgt sich nun hinter dem Begriff Scaffolding?
Wesentlich für die Strategie des Scaffolding ist, dass es sich bei Scaffolds nicht einfach um „Hilfen“ handelt. Scaffolding ist nach Gibbons „the temporary assistance by which a teacher helps a learner know how to do something so that the learner will later be able to complete a similar task alone“ (Gibbons, 2015, S. 16). Gemeint ist also eine „Hilfe“, deren Existenz – wie die eines Gerüsts auf einer Baustelle – zeitlich begrenzt und darauf ausgerichtet ist, wieder „abgebaut“ zu werden. Ein Scaffold hat den Zweck, die Schüler:innen dabei zu unterstützen, die „Zone der proximalen Entwicklung“ [1] zu überwinden und sich auf diese Weise weiterzuentwickeln (vgl. Gibbons, 2015, S. 12 ff.). Das setzt einerseits voraus, dass die Anforderungen der zu erfüllenden Aufgabe nicht allzu weit über das hinausgehen, was der/die Schüler:in zum gegebenen Zeitpunkt zu erreichen in der Lage ist. Andererseits darf die Aufgabe aber auch nicht so einfach bzw. dürfen die Hilfen nicht so umfangreich sein, dass der/die Lernende sich nicht weiterentwickeln kann bzw. sich im schlimmsten Fall sogar langweilt (vgl. Gibbons, 2015, S. 17 ff.).
Durch individuell angepasste Scaffolds sollen idealerweise alle Schüler:innen einer Lerngruppe zu vergleichbar guten Ergebnissen gebracht werden. Das gilt auch für diejenigen, die sich noch in der Phase des Zweitspracherwerbs befinden. Denn Zweitsprachen-Lerner:innen, so betont Gibbons, brauchen denselben Zugang zu intellektuell herausfordernden Aufgaben wie Erstsprachen-Lerner:innen (vgl. Gibbons, 2015, S. 18 f.).
Welche Konsequenzen sich aus diesem Anspruch für die Bedarfs- und Lernstandsanalyse sowie die Unterrichtsplanung (Makro-Scaffolding) ebenso wie für die Unterrichts-Interaktion (Mikro-Scaffolding) ergeben, wurde in der Literatur ausführlich beschrieben (vgl. zusammenfassend: Kniffka, 2010).
Ferner stellt Pauline Gibbons für die Schreibförderung ein Konzept vor, das an dieser Stelle zur Lektüre empfohlen sei (vgl. Gibbons, 2015, S. 96 ff.).
Für den hiesigen Kontext bleibt festzuhalten, dass – wie bei den authentischen Schreibarrangements bzw. den Schreibaufgaben mit Profil – im Hinblick auf das Schreiben auch beim Scaffolding das Ziel verfolgt wird, dass Schüler:innen das Verfassen von Texten als eine sinnvolle Tätigkeit erleben können, bei der sie sich mit für sie anregenden Inhalten beschäftigen. Doch auch wenn Inhalte und Aufgaben sie intellektuell fordern, sollen sie die Möglichkeit haben, zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen. Weil Schüler:innen noch keine professionellen Schreiber:innen sein bzw. sich aufgrund von Migration noch in der Phase des Zweitspracherwerbs befinden können, braucht es dazu gezielte und zeitlich begrenzte sprachliche Unterstützungsangebote.
Ein Beispiel dafür, wie eine solche Unterstützung konkret im Unterricht aussehen kann, findet sich im Material zur Einübung der Textform Argumentation im sprachsensiblen Politikunterricht mithilfe eines Mustertextes und Scaffolding von Christina Hartner. Dieses Material wurde speziell für DaZ-Lerner:innen entwickelt, kann aber auch – z. B. zur inneren Differenzierung – im regulären Fachunterricht genutzt werden.
Birgit Guschker, Bielefeld im September 2021
[1] Gibbons bezieht sich hier auf Lev S. Vygotsky. Mit „Zone der proximalen Entwicklung“ meint dieser den Raum zwischen dem, was ein Kind seinem aktuellen Entwicklungsstand entsprechend von sich aus kann, und dem, wozu es bei der Lösung von Problemen unter Anleitung einer erfahreneren Person in der Lage ist (vgl. Gibbons, 2015, S. 13 f.).
Weiterführende Literatur:
Gibbons, P. (2015). Scaffolding Language, Scaffolding Learning: Teaching English Language Learners in the Mainstream Classroom (2nd ed.). Heinemann.
Kniffka, G. (2010). Scaffolding. https://www.schulentwicklung.nrw.de/materialdatenbank/material/view/3834
Wood, D., Bruner, J. S. & Ross, G. (1976). The Role of Tutoring in Problem Solving. The Journal of Child Psychology and Psychiatry 17(2), 89-100.