Am 23. April 2023 wäre der Bielefelder Historiker Reinhart Koselleck einhundert Jahre alt geworden. Begriffsgeschichte, Historik, politischer Totenkult, politische Ikonologie – hinter diesen bekannten Themen seines Werkes fächert sich Kosellecks Denken vielfach und eigenwillig auf, formuliert in einer ebenso individuellen analytischen Begrifflichkeit, die intellektuelle Spielräume öffnet.
Historische Zeit und ihre Paradoxien, körperlich-sinnliche Wahrnehmung als Bedingung multiperspektivischer (Konflikt-) Geschichten, das spannungsvolle Verhältnis von individueller Erfahrung und kollektiver Erinnerung sind nur einige der Aspekte, die in der internationalen kultur- und sozialhistorischen Forschung von aktuellem Interesse sind.
Die Abteilung Geschichtswissenschaft und das Zentrum für Theorien in der historischen Forschung der Universität Bielefeld nehmen den einhundertsten Geburtstag Reinhart Kosellecks zum Anlass, um im Rahmen einer Feier aktuelle Projekte und Publikationen vorzustellen, die sich der vielfältigen intellektuellen Neugierde Kosellecks widmen, nach dem Motto: „Mit Koselleck über Koselleck hinausdenken“. Nicht nur der Geschichtstheoretiker, Begriffs- und Bildhistoriker, sondern auch der noch zu entdeckende Sammler und Karikaturist Reinhart Koselleck wird vorgestellt.
Reinhart Koselleck (1923-2006) gehörte nach seiner Habilitation an der Universität Heidelberg im Jahre 1965 zunächst dem Wissenschaftlichen Beirat und ab 1968 dem Gründungsausschuss der Universität Bielefeld an. Nach Professuren in Bochum und Heidelberg war er von 1973 bis 1988 Professor für Theorie der Geschichte an der Universität Bielefeld. Das Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung prägte Reinhart Koselleck als geschäftsführender Direktor 1974/75 und als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates von 1979 bis 1990.
Der Rektor eröffnet die Feier (die Rede lesen).
Nach Recherchen im Universitätsarchiv rekonstruiert der Dekan und Historiker Frank Grüner, wie Koselleck nach Bielefeld kam:
In Namen der vier Organisator*innen begrüßt Willibald Steinmetz die versammelten Gäste und bedankt sich bei den Kooperationspartnern und Förderern, die die Feier ermöglicht haben. Zu der Frage, wie Reinhart Kosellecks geistiges Erbe zu würdigen und zugleich im Geist von Reinhart Koselleck zu feiern? Das schildert Lisa Regazzoni in ihren einführenden Worten, die hier zu lesen sind.
Kein Beitrag ohne “K-Faktor”! Silke Schwandt präsentiert das Markenzeichen der Contributions sowie das Heft 18.1, das zum 100. Geburtstag im Juni 2023 erschienen ist. Im Laufe des Jahres werden in allen drei Ausgaben Beiträge escheinen, die sich kritisch mit den Ansätzen von Reinhart Koselleck auseinandersetzen und nach ihrer Zukunftsfähigkeit fragen.
Ein langer Zug von kleinen Pferden, Reitern, Zinnsoldaten, Andenkenfiguren, Souvenirs und kleine Haushaltswaren mit historischen Motiven, Miniaturrepliken von Denkmälern, Zeitungsausschnitten, Steinen und vielem mehr reihte sich im Laufe der Jahre in die Bücherregale von Reinhart Koselleck ein. Der ungewöhnliche Objektbestand ist 2021 aus der häuslich-privaten Sphäre der Familie Koselleck in den Besitz der Universität Bielefeld übergegangen. Der Sammelband Im Zwischenraum der Dinge (BiUP) präsentiert explorative Beiträge, die dieses Objektsensemble zum Fluchtpunkt geschichts- und medientheoretischer Reflexionen gemacht haben – an Kosellecks Denken entlang und darüber hinaus.
Auf dieses Ensemble gewähren Lisa Regazzoni, Judith Blume und Ruppe Koselleck auf einer spielerischen Art Einblick. Sie zeigen jeweils zwei Gegenstände, von denen das eine tatsächlich Kosellecks Objektsensemble gehört hatte und das andere nicht. Welcher ist das „authentische“ Objekt und welches ist das „vorgetäuschte“?
Lisa Regazzoni leitet die 1. Spielrunde…
Der issue KOMPOSITA auf dem Blog „Geschichtstheorie am Werk“ reflektiert die Vielfalt und die aktuellen Resonanzen des wissenschaftlichen Werks von Reinhart Koselleck. In Form eines mehrsprachigen Glossars lädt es internationale, junge und etablierte Wissenschaftler*innen ein, Begriffe der politisch-sozialen Sprache neu zu lesen und analytische Metaphern, Forschungspraktiken, Bilder und Objekte in Kosellecks Werk zu diskutieren, mit denen sich überraschende Verbindungen zwischen verschiedenen Theorie- und Forschungsfeldern entdecken lassen, oder die dazu anregen, mit neuen theoretischen und figurativen Modellen historischer Erkenntnis zu experimentieren. Die KOMPOSITA erscheinen über das Jahr 2023 hinweg als Sonderausgabe des Blogs Geschichtstheorie am Werk.
Bettina Brandt und Marcus Wystub präsentieren das Glossar der Blogbeiträge, die Kosellecks intellektuellen Kosmos neu in den Blick nehmen, ihn historisieren und im Licht aktueller historischer Fragestellungen weiterentwickeln.
Jonathon Catlin erläutert die Verlinkung der einzelnen Blogbeiträge, die zusammen ein intellektuelles Netz bilden. Er zeigt, wie einzelne Blogbeiträge Kosellecks Werk bewußt mit anachronistischen Fragen konfrontieren und auch Blindstellen und Begrenzungen seines Theorieansatzes und der Begriffsgeschichte thematisieren.
Kosellecks Befragen von Sprache UND Bildern entsprechend war er experimentierfreudig, auch eine filmische Magisterarbeit im Fach Geschichtswissenschaft zu betreuen. Kai Kruse zeigt Ausschnitte aus seiner 1986 produzierten Arbeit „Helden und Opfer“, die der Geschichte des politischen Totenkultes vornehmlich in Bielefeld und der Region auf der Spur ist.
Moderation: Jana Hoffmann (Universität Bielefeld) Podium: Katharina Koselleck (Käthe Kollwitz Museum Köln), Vanessa Krjutschkow (Universität Bielefeld), Christina Morina (Universität Bielefeld), Sybilla Nikolow (Universität Bielefeld)
Reinhart Koselleck war nicht nur ein leidenschaftlicher Geschichtstheoretiker, sondern auch ein passionierter Zeichner, der häufig einen Stift, Block oder ein Blatt Papier zur Hand hatte. Während viele den im Selbstverlag publizierten Band Kosellecks „Bilder Vorbilder“ kennen, sind seine Karikaturen und Zeichnungen, die Koselleck während des 2. Weltkrieges anfertigte, noch weitgehend unbekannt. Ein Großteil dieser Karikaturen und Zeichnungen stammen aus Kosellecks Lazarettaufenthalten zwischen 1942 und 1943 und kommentieren politische Ereignisse, das Kriegsgeschehen, einzelne Personen sowie Alltagssituationen im Lazarett. Erstmals wird eine Auswahl an Karikaturen einer breiten Öffentlichkeit gezeigt und durch verschiedene Expertinnen unter bestimmten Fragestellungen diskutiert.
Katharina Koselleck, Kunsthistorikerin und Tochter von Reinhart Koselleck ordnet die Kriegszeichnungen in das zeichnerische Gesamtwerk ihres Vaters ein und kontextualisiert die Situationen, in denen R. Koselleck gezeichnet hat.
Christina Morina diskutiert kritisch in ihrem Beitrag die Ideologie- und Wertvorstellungen, die in den realpolitischen Zeichnungen zum Ausdruck kommen.
Die Studentin Vanessa Krjutschkow analysiert die Bildserie „Herr und Frau Roosevelt erzählen aus der Weltgeschichte“ und zeigt in ihrer Interpretation konzise auf, wie bestimmte Werke, die Koselleck während seiner Lazarettzeit gelesen hat, sein Weltbild und die Zeichnungen geprägt haben.
Wie lassen sich Reinhart Kosellecks Werk, seine Kriegserfahrungen und sein Leben musikalisch erfassen und abbilden? Dies zeigt Konrad Koselleck (Piano/Präsentation) zusammen mit der Sängerin Kirsten Schötteldreier und dem Musiker Bastiaan Woltjer sehr eindrücklich mittels ausgewählter Ausschnitte aus dem Programm „The Concert to End All Wars“. Den roten Faden der Ausschnitte bilden drei „historische“ Ereignisse, die für die Existenz Konrad Kosellecks mitverantwortlich sind.
Wir danken Alice Neitzel, Nadine Engler, den Hilfskräften sowie den Kooperationspartnern und Förderern: Rektorat der Universität Bielefeld, Universitätsgesellschaft Bielefeld, Zentrum für Ästhetik, Zentrum für interdisziplinäre Forschung, Bielefeld University Press, Zentrum für Theorien in der historischen Forschung, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie.