AG 1: Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie
Die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung mit ambulanten medizinischen Leistungen ist in entwickelten Wohlfahrtsstaaten eine Kernaufgabe öffentlicher Daseinsvorsorge. Trotz wachsender Arztdichte nimmt die Zahl der Regionen mit ärztlicher Unterversorgung zu. Für die Zukunft wird eine Verschärfung der Versorgungsprobleme prognostiziert.
Das vergleichende Projekt untersucht für den Zeitraum seit 2000 bis heute die politischen Strategien (Policies) ausgewählter westeuropäischer Wohlfahrtsstaaten (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Schweden) zur Bewältigung dieses Problems. Das Forschungsinteresse richtet sich auf folgende Fragen:
Bei Bearbeitung der Frage 1 geht es um Policy-bezogenen empirischen Erkenntnisgewinn durch Exploration. Anhand der verfügbaren Daten und Dokumente wird für die vier Untersuchungsfälle eine Typologie der Problemwahrnehmung und Politikformulierung zu dem Versorgungsproblem erarbeitet.
Bei Frage 2 geht es um theoretischen Erkenntnisgewinn für die vergleichende Staatstätigkeits- und Gesundheitssystemforschung durch qualitative empirische Analyse und Erklärung von Wandel. Auf der Basis theoretisch abgeleiteter Arbeitshypothesen werden die kausalen Wirkungszusammenhänge zwischen den nationalen Gesundheitssystemen und der politischen Strategieauswahl überprüft. Hier ist insbesondere von Interesse die Bedeutung der Problemwahrnehmungen beteiligter Akteure, ihrer Machtressourcen und der institutionellen Strukturen des jeweiligen Gesundheitssystems.
Bei Frage 3 steht das Problem des Wandels von Gesundheitssystemen im Mittelpunkt. Hier wird analysiert, ob sich mit der Zielformulierung und Instrumentenwahl bei der regionalen Steuerung ambulanter Versorgungskapazitäten in den einzelnen Gesundheitssystemen neue regulative und institutionelle Strukturen herausbilden (Hybridisierung) oder die Problemlösung im gewachsenen regulativ-institutionellen Rahmen verbleibt (Pfadabhängigkeit). Im internationalen Vergleich wird damit auch die Frage nach der Divergenz oder Konvergenz der Systeme thematisiert.
Die Untersuchung beruht methodisch auf der qualitativen Inhaltsanalyse von Dokumenten (Gesetze, Gesetzesbegründungen, Positionspapiere beteiligter Akteure, Gutachten etc.) zu politischen Reformmaßnahmen sowie auf Experteninterviews. Die Analyse von Strategien auf der nationalen Ebene wird um regionale Fallstudien ergänzt.
Neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn verspricht das Projekt politisch-praktischen Nutzen durch das Ausloten der Chancen eines zwischenstaatlichen Politiktransfers (Policy-Learning).
Das Projekt wird in Kooperation mit der Université de Versailles Saint-Quentin-en-Yvelines (Faculté de Droit et de Science Politique) und der Fernuniversität Hagen (Fakultät für Kultur- und Sozialwissenschaften, Institut für Politikwissenschaft, Lehrgebiet III: Politikfeldanalyse) durchgeführt. Es wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Agence Nationale de la Recherche gefördert.