Der Digitale Stress Test (DST) ist ein neuartiges digitales Forschungsinstrument, das sowohl die standardisierte Induktion als auch die (Video-)Aufzeichnung von akuten Stressreaktionen außerhalb des Labors ermöglicht.
Er ist als einfach zu bedienende Smartphone-Webanwendung konzipiert, in der Interessierte an Stressstudien teilnehmen können, ohne direkt mit den Forscher*innen kommunizieren zu müssen oder zusätzliche Geräte zu benötigen (z. B. Smart-Watches, VR-Brillen oder App-Downloads).
Der DST basiert auf bekannten Stressinduktionsprinzipien klassischer Stressparadigmen. Dabei absolvieren die Teilnehmenden einen arithmetischen Frustrationstest, in dem sie verschiedene mathematische Aufgaben unter Zeitdruck lösen, und mehrere verbale Antwortszenarien. Um eine robuste Stressreaktion hervorzurufen, sind zusätzliche Elemente von Unkontrollierbarkeit und sozialer Bewertung implementiert. Gleichzeitig können mit dem DST multimodale Verhaltensdaten durch die Frontkamera und Mikrofone der Geräte aufgezeichnet werden. Als universelles Forschungsinstrument kann er leicht an verschiedene Szenarien angepasst und mit anderen auf Smartphones anwendbaren Sensormethoden kombiniert werden.
Durch die Nutzung von standardisierten Stressinduktionsexperimenten konnten bereits wertvolle Erkenntnisse über die Ursachen und Folgen von akutem psychosozialem Stress gewonnen werden[1,2]. Darüber hinaus spielen kontrollierte Stressinduktionsverfahren eine wichtige Rolle bei der Entwicklung objektiver Stresserkennungsmethoden. Diese basieren zu großen Teilen auf qualitativ hochwertigen und repräsentativen Datensätzen, die durch Stressinduktionsexperimente erzeugt werden[3].
Die meisten Verfahren für die Stresserzeugung sind jedoch auf Laborumgebungen beschränkt, sehr aufwendig und können weder auf größere Stichproben noch auf Alltagsszenarien übertragen werden.
Der DST macht sich die große Verbreitung von Smartphones im täglichen Leben zunutze und integriert die Prinzipien klassischer Stressparadigmen (z. B. TSST, MIST, IMPRESS [4,5,6]) in eine skalierbare Webanwendung.
Elemente der sozial-evaluativen Bedrohung und Unkontrollierbarkeit [7] bilden den Kern der beiden implementierten Aufgaben und werden durch stressinduzierende Framings ergänzt.
Die Möglichkeiten eines digitalen Stressparadigmas für die standardisierte Induktion und Erfassung akuter Stressreaktionen sind vielfältig. Generell könnten Stressauswirkungen und die individuelle Stressreaktivität außerhalb des Labors und mit größeren Stichprobengrößen untersucht werden. Dies würde es zudem ermöglichen, die Effekte zu reproduzieren, zu vergleichen und für verschiedene Kohorten (z. B. Stress bei Patienten mit Rückenschmerzen) und Kontexte (z. B. arbeitsbedingter Stress) von einem beliebigen Ort mit Internetanschluss aus anzupassen. Stressexperimente könnten durchgeführt werden, um die Wirkung von Strategien zur Stressprävention (z. B. Bewegung) und -intervention (z. B. Meditation) im täglichen Leben und bei Personen mit unterschiedlichem kulturellem, ethnischem und geografischem Hintergrund zu untersuchen.
Darüber hinaus könnte die Aufzeichnungen kontrollierter Stressreaktionen innerhalb eines skalierbaren digitalen Stresserzeugungparadigmas zur weiteren Analyse und Entwicklung von Algorithmen der Stresserkennung genutzt werden.
Das gesamte Verfahren findet auf dem Bildschirm des Smartphones der Teilnehmenden statt und dauert nicht länger als 5-8 Minuten. Eine Präsentationsversion ohne jegliche Datenspeicherung kann auf www.digitalstresstest.org ausprobiert werden. Das Paradigma besteht aus mehreren Framings sowie einer mentalen Rechenaufgabe und einer sprachlichen Beantwortungsaufgabe:
Der DST wird als Forschungsinstrument, das die individuelle kognitiv-sprachliche Leistungsfähigkeit der Teilnehmenden testet und ihr über die Frontkameras aufgezeichnetes Verhalten analysiert. Das Framing kann für spezifische Studiendesigns angepasst werden.
Im Frustrationstest lösen die Proband*innen arithmetische Aufgaben unterschiedlicher Schwierigkeit. Die Schwierigkeit überschreitet dabei immer wieder bewusst die Leistungsfähigkeit der Proband*innen, indem die zur Lösung der Aufgabe bereitgestellte Zeit verkürzt wird. Weitere Elemente wie negatives Feedback, negativer Vergleich und Live-Ausstrahlung des eigenen Videos verstärken den psychosozialen Stress.
Im sprachlichen Test des DST antworten die Proband*innen mündlich auf standardisierte Fragen zu persönlich relevanten Themen. Der psychosoziale Stress wird dabei erneut durch „stressige“ Elemente im Design, im Feedback und der aktiven Videoausstrahlung erhöht.
Wir haben auch eine Kontrollversion des DST entwickelt, die seiner Struktur und seinem Ablauf ähnelt, sich aber hinsichtlich der Stressinduktionselemente unterscheidet. Die Teilnehmenden werden zu Beginn aufgeklärt, dass sie nicht gefilmt werden und dass der Test als Kontrollvariante dient. Der arithmetische Teil ist deutlich leichter gestaltet und die sprachliche Aufgabe beinhaltet unkritische Themen. Stressige Elemente im Design und Feedback wie beim DST sind bewusst ausgelassen.
Eine Präsentationsversion ohne jegliche Datenspeicherung kann auf www.digitalstresstest.org/control ausprobiert werden. In einer randomisierten Online-Studie mit 284 Teilnehmenden konnten wir bereits zeigen, dass Teilnehmende des DST im Vergleich zu C-DST-Teilnehmenden signifikant stärkeren Stress empfanden [8]. Eine anschließende Validierungsstudie mit physiologischen Markern haben wir bereits prä-registriert (https://osf.io/xwu9a/) und gestartet.
DST und C-DST wurden als Single-Page Webanwendungen unter Verwendung des JavaScript-Frameworks React.js entwickelt. Die Anwendungen sind so konzipiert, dass sie in Standardbrowsern laufen und auf öffentlichen Universitätsservern gehostet werden. Um die Apps zu starten, ist der Zugriff von mobilen Geräten erforderlich. Beide Versionen können in deutscher oder englischer Sprache genutzt werden. Das Design, die Formulierungen und die Aufgaben können den Bedürfnissen der Studie entsprechend angepasst werden.
Zusätzlich haben wir eine sichere technische Infrastruktur zur Speicherung der Daten auf einer separaten virtuellen Maschine aufgebaut und eine Genehmigung der Ethikkomission für unser Datenspeicherkonzept erhalten.
[1] Dedovic K, D’Aguiar C, Pruessner JC. What stress does to your brain: a review of neuroimaging studies. Can J Psychiatry. 2009;54(1):6-15. doi:10.1177/070674370905400104
[2] Chen X, Gianferante D, Hanlin L, et al. HPA-axis and inflammatory reactivity to acute stress is related with basal HPA-axis activity. Psychoneuroendocrinology. 2017;78:168-176. doi:10.1016/j.psyneuen.2017.01.035
[3] Mahesh B, Hassan T, Prassler E, Garbas J. Requirements for a Reference Dataset for Multimodal Human Stress Detection. In: 2019 IEEE International Conference on Pervasive Computing and Communications Workshops (PerCom Workshops). ; 2019:492-498. doi:10.1109/PERCOMW.2019.8730884
[4] Kirschbaum C, Pirke KM, Hellhammer DH. The ’Trier Social Stress Test’--a tool for investigating psychobiological stress responses in a laboratory setting. Neuropsychobiology. 1993;28(1-2):76-81. doi:10.1159/000119004
[5] Dedovic K, Renwick R, Mahani NK, Engert V, Lupien SJ, Pruessner JC. The Montreal Imaging Stress Task: using functional imaging to investigate the effects of perceiving and processing psychosocial stress in the human brain. J Psychiatry Neurosci. 2005;30(5):319-325.
[6] Fehlner P, Bilek E, Harneit A, et al. Neural responses to social evaluative threat in the absence of negative investigator feedback and provoked performance failures. Human Brain Mapping. 2020;41(8):2092-2103. doi:https://doi.org/10.1002/hbm.24932
[7] Dickerson SS, Kemeny ME. Acute stressors and cortisol responses: a theoretical integration and synthesis of laboratory research. Psychol Bull. 2004;130(3):355-391. doi:10.1037/0033-2909.130.3.355
[8] Norden M, Hofmann A, Meier M, Balzer F, Wolf O, Böttinger E, Drimalla H Inducing and Recording Acute Stress Responses on a Large Scale With the Digital Stress Test (DST): Development and Evaluation Study J Med Internet Res 2022;24(7):e32280 URL: https://www.jmir.org/2022/7/e32280 DOI: 10.2196/32280
Autoren: |
Matthias Norden, Hanna Drimalla |
E-Mail: | |
Informationen zur Nutzung des DST: | Es gibt mehrere Möglichkeiten, den DST zu nutzen. Weitere Informationen finden Sie in den Kollaborationsinformationen Wenn Sie den DST nur zur Stressinduktion verwenden möchten und nicht vorhaben, damit Daten zu erheben, können Sie eine angepasste Version ohne Protokollierung, Fragebögen, Einverständniserklärung oder Nachbesprechung unter folgendem Link verwenden: https://resilience.tf.uni-bielefeld.de/publix/98/start?batchId=98&generalMultiple Bitte zitieren Sie [8], wenn Sie eine Arbeit veröffentlichen, in der der DST verwendet wurde. |
Danksagung: | Wir bedanken uns bei Amin Hofmann, Martin Meier, Kira Loos und Steffen Johannknecht für ihre Beiträge in der Entwicklung der DST-Webanwendung. |
Online-Version DST: | www.digitalstresstest.org |
Online-Version C-DST: | www.digitalstresstest.org/control |
Code: | http://www.digitalstresstest.org/code |
Lizenz: | GPL 3.0. Der DST kann sowohl auf eigenen Servern installiert als auch im Rahmen einer Kooperation mit der Uni Bielefeld genutzt werden. Bei Fragen, wenden Sie sich gern an Matthias Norden. |