ln komplexen Entscheidungssituationen stehen Individuen und Organisationen vor einer Vielfalt von Optionen und Alternativen. Ein systematisches Abwägen der Argumente für und gegen eine Option sowie die Berücksichtigung unterschiedlicher Perspektiven und Annahmen sind unerlässlich, um zu einer begründbaren, ausgewogenen Entscheidung zu gelangen. Automatisierte Unterstützung durch Technologien der Informationsverarbeitung ist unabdingbar, um entscheidungsrelevante Fakten und Argumente zu finden, in einem gegebenen Kontext zu analysieren und zusammenzufassen - allerdings mangelt es dafür bisher an geeigneten Technologien.
Suchmaschinen oder entscheidungsunterstützende Informationssysteme wie z.B. IBM Watson operieren auf einzelnen Fakten als Informationseinheit: Sie können Fakten im großen Stil aus Texten extrahieren, nicht aber zu Argumenten verdichten, geschweige denn Argumente kon-textualisieren oder validieren. Ohne Einbettung in einen argumentativen Zusammenhang liefern isolierte Fakten weder tiefe Einsichten noch Erklärungen. Reine, auch auf Big Data durchgeführte Korrelationsanalysen greifen offensichtlich zu kurz, da sie keine Erklärungen oder argumentative Zusammenhänge liefern und daher nicht zur informierten Entscheidungsfindung beitragen. Im Kontext des Mensch-Maschine-Dialogs ist die Generierung von Erklärungen essentiell, um z. B. das fehlerhafte Verhalten einer Maschine einem Anwender zu erklären und ihn bei der Fehlerbehebung zu unterstützen, oder auch, um die automatisierte Vorhersage von Fehlfunktionen nachvollziehbar zu machen.
Das Schwerpunktprogramm strebt daher einen Paradigmenwechsel an, in dem statt einzelner Fakten kohärente argumentative Strukturen die Informationseinheit bilden, die für die Entscheidungsfindung systematisch und explizit aufbereitet werden. Hierfür sind neue Methoden, die Argumente und ihre Zusammenhänge aus Dokumenten extrahieren können, sowie neue semantische Modelle und Ontologien zur tiefen Repräsentation von Argumenten zu entwickeln. Neue Suchverfahren werden benötigt, die Argumente indexieren, die für eine Suchanfrage relevanten Für- und Gegenargumente finden sowie der gezielten Interaktion mit einem menschlichen Nutzer zugänglich machen können. Zudem sind neue Verfahren des maschinellen Schlussfolgerns zu entwickeln, um Implikationen von Argumenten und deren Plausibilität bewerten zu können.
Diese Ziele erfordern die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen, die erstmalig im Rahmen eines Schwerpunktprogramms der Informatik kooperieren sollen. Die Bündelung der Kompetenzen bildet die Voraussetzung zur Herbeiführung eines Paradigmenwechsels, durch den mittelfristig argumentative Zusammenhänge statt einzelner Fakten in den Mittelpunkt der Informationsverarbeitung rücken und weitreichende Anwendungspotentiale im Bereich des Ingenieurwesens, der Medizin, des Finanzwesens und Online-Handels, der Politik sowie der Geistes- und Rechtswissenschaften erschlossen werden können.