Das Projekt untersuchte u.a. Vorurteile und Xenophobie in der deutschen Bevölkerung, und dabei insbesondere die Einstellungen gegenüber Immigranten und Kriegsflüchtlingen. Weitgehend repräsentative Stichproben wurden erhoben in Zeiten starker Zuwanderung: im August 2015 (n = 637), März 2016 (n = 625), und im Juni 2022 (n = 1339). Unser besonderes Interesse war auf die psychologischen, biographischen und religiösen Entwicklungen gerichtet, die zu Vorurteilen und Xenophobie einerseits und Xenosophie, dem Gegenteil von Xenophobie¹, andererseits führen. Die zentrale Frage war daher, welche Rolle verschiedene Versionen von Religiosität spielen bei der Reduzierung von Vorurteilen und bei der Unterstützung der Willkommenskultur.
Die Fragebogen für unsere Studien beinhalten verschiedene Messinstrumente für Religiosität, darunter die Frage nach der religiöse Zugehörigkeit, die Skala für die Zentralität von Religiosität, Skalen für Fundamentalismus und Pluralismus, für religiöse Schemata, und eine Anzahl an einzelnen Items, die nach der Selbstbeschreibung als religiös, spirituell oder atheistisch fragen. Der Religious Schema Scale² wurde besondere Aufmerksamkeit geschenkt, da wir annahmen, dass der Stil, in dem religiöse Vorstellungen, Gefühle und Erfahrungen verstanden und verarbeitet werden, entscheidend für die Art und Weise ist, wie Religiosität die Einstellungen beeinflusst: entweder in eine dem „Fremden“ gegenüber tolerante, interessierte und akzeptierende Richtung, oder auf eine eher vorurteilsbeladene und abwertende Weise. In einem weiteren Block von Messinstrumenten wurden Vorurteile und Xenophobie erhoben; die Fragen sind weitgehend identisch mit denen für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit³, welche die Einstellung zu Ausländern, Flüchtlingen, Schwarzen, Homosexuellen und Frauen erheben. Schließlich wurden mit 27 systematisch ausgewählten Personen persönliche Interviews geführt.
Bereits einfache Prozentangeben sind aufschlussreich: Die Willkommenskultur gegenüber Kriegsflüchtlingen ist erstaunlich hoch und hat sich zwischen 2015, 2016 und 2022 nur wenig verändert, hat im Jahr 2022 sogar noch etwas zugenommen. Jedoch wird von den Teilnehmenden an der Befragung offensichtlich ein starker Unterschied gemacht zwischen den Geflüchteten, die vor einem Krieg in Ihrem Heimatland Schutz suchen und denjenigen, die wegen der besseren Lebensbedingungen nach Deutschland kommen, wie die obige Graphik zeigt.
In den statistischen Analysen wurde deutlich, dass die Einstellungen zum Fremden durch die Religiosität per se nur wenig erklärt werden, wenn man Religiosität allein an der Häufigkeit von Gottesdienstbesuch, Gebet oder an religiöser Erfahrung, der Stärke des Glaubens an Gott oder an der Beschäftigung mit religiösen Themen festmacht. Die Trennlinien verlaufen mitten durch die Religion selbst: zwischen einer Religion, die auf die eigene Kultur, die eigene Gruppe, die eigene Familie bezogen ist einerseits, und einer Religion, die offen ist für Komplexität und Dialog andererseits. Die Trennlinien verlaufen zwischen verschiedenen religiösen Schemata.
In einem Strukturgleichungsmodell⁴ zeigen wir, dass religiöse Schemata für Toleranz und Dialog sowie religiöser Pluralismus die Willkommenskultur gegenüber Kriegsflüchtlingen stark unterstützen, während Othering, gemessen mit Fragen zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, dem Willkommen für Kriegsflüchtlinge stark entgegenwirkt.
Xenosophie beschreibt einen Prozess, der sich nicht gegen die Herausforderung des Fremden abschottet und immunisiert, sondern vielmehr dem Fremden mit Responsivität und Offenheit für das Unerwartete begegnet. Xenosophie ist eine Form der Weisheit, die eine gegenläufige Bewegung gegen das zunehmende Othering in unserer Welt begründet.
Zur empirischen Analyse von religiösen Schemata hatten wir die Religious Schema Scale (RSS; Streib et al., 2010) entwickelt und validiert, welche einen Schwerpunkt auf xenosophischen Einstellungen hat; denn eine der drei Subkalen trägt den Namen ‚xenosophia/inter-religious dialog‘. Für mehr Information: https://www.uni-bielefeld.de/fakultaeten/theologie/cirrus/forschung/streib/methode-development/religious-schema-scale/
Für weitergehende Informationen, siehe: Küpper, B., & Zick, A. (2014). Group-Focused Enmity: Prevalence, Correlations and Causes of Prejudices in Europe. In P. Nesbitt-Larking, C. Kinnvall, T. Capelos, & H. Dekker (Eds.), The Palgrave Handbook of Global Political Psychology (pp. 242-262). Palgrave Macmillan. https://doi.org/10.1007/978-1-137-29118-9_14
Siehe auch: Heitmeyer, W. (2002). Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die theoretische Konzeption und erste empirische Ergebnisse. In W. Heitmeyer (Ed.), Deutsche Zustände, Folge 1 (pp. 15-34). suhrkamp.
In der Studie von 2015 wurden schließlich aus einem Fundus von 108 Teilnehmenden, die im Fragebogen ihre Bereitschaft zu einem Interview signalisiert hatten, 27 Personen ausgewählt. Vier Fälle illustrieren unsere auf konzeptuellen Überlegungen beruhende Typologie von biographischen Wegen zur Xenosophie. Diese Fallstudien werden in Streib & Klein (2018) in den Kapiteln 11 bis 14 präsentiert.