Im Gegensatz zu Wirbeltieren, fallen Insekten, Weichtiere und andere Wirbellose nicht unter das Deutsche Tierschutzgesetz – Experimente mit Wirbellosen sind also vom Gesetz her keine Tierversuche und müssen nicht von den zuständigen Behörden genehmigt werden. Dennoch soll auch über diese Forschung mit Tieren berichtet werden.
Wie orientieren sich Hummeln wenn sie zum Teil weite Strecken zwischen Nest und Futterquelle zurücklegen? Wo werden Gerüche im Gehirn dekodiert? Wie steuert eine Stabheuschrecke ihren Gang? Und was machen die doch relativ langsamen Schnecken, um sich vor Fressfeinden zu schützen? Diese Fragen sind nur ein Ausschnitt aus der wissenschaftlichen Forschung, die an der Universität Bielefeld mit Wirbellosen durchgeführt wird.
Fliegende Insekten, wie z.B. Hummeln, vermeiden in komplexen Flugmanövern Kollisionen mit Hindernissen, steuern gezielt Landeplätze an und führen dabei komplexe Flugmanöver durch. Hummeln navigieren insbesondere über weite Strecken zwischen ihrem Nest und Futterquellen hin und her. Dabei lernen sie visuelle Umweltinformationen, um ihre Flugrouten zu optimieren und nach der Futtersuche ihr Nest auch in komplexem Gelände wiederzufinden. Aufgrund der relativ geringen Anzahl an Nervenzellen in den Insektengehirnen muss dabei die Informationsverarbeitung äußerst effizient sein. Durch eine Kombination aus experimentellen und modellierenden Ansätzen sollen die Kontrollmechanismen verstanden werden, die Insekten entwickelt haben, um diese komplexen Aufgaben zu bewältigen.
Da es sich bei Hummeln, um sehr kleine Lebewesen handelt, ist es einerseits schwierig sie in der Wildbahn zu tracken um ihr Flugverhalten aufzuzeichnen. Andererseits ist es für eine Analyse der Mechanismen wichtig, dass die Umwelt der Tiere im Experiment gezielt manipuliert werden kann. Das ist nur im Labor möglich. Hier kommen unter anderem 3D-Simulationen der Umwelt im Labor zum Einsatz. Die Hummel läuft auf einem mit Richtungssensoren ausgestatteten Ball vor einem Bildschirm, der je nach Bewegung und eingeschlagener Richtung des Insekts, die entsprechende Landschaft so darstellt, wie sie von einem frei beweglichen Tier gesehen würde.
Bekannt als sogenannte „lebende Äste“ sind Stabheuschrecken (z.B., Carausius morosus) wegen ihrer sechs Beine und ihrer nachtaktiven, kletternden Lebensweise besonders spannend die Forschung zu komplexen Bewegungsvorgängen. Insekten sind – wie alle Lebewesen, die sich auf Beinen fortbewegen - bei der Bewegungssteuerung stark auf sensorisches Feedback angewiesen. Stabheuschrecken werden seit rund einem Jahrhundert als Versuchstiere in der Tierphysiologie und Neurobiologie eingesetzt – dementsprechend kann auf umfangreiches Detailwissen zu Anatomie, Physiologie und ihrem Verhalten zurückgreifen. Methodisch sind sie aufgrund ihrer relativ geringen Geschwindigkeit und Größe für viele elektrophysiologische Techniken zugänglich und ermöglichen detaillierte Analysen des natürlichen, Bewegungsverhaltens. Dabei stehen Fragen im Vordergrund wie: „Woher weiß ein Bein was das andere gerade tut? Welche, der vielen Möglichkeiten um von A nach B zu gelangen, wähle ich - und warum?
Bielefelder Forschende interessieren sich für die sensorisch gesteuerte Verhaltenskontrolle der Stabheuschrecken. Der Forschungsschwerpunkt in diesem Bereich liegt auf der Funktion der aktiven taktilen Wahrnehmung (Abtasten mit Fühlern) und der verteilten Propriozeption (Der Sinn der Körperstellung und -bewegung). Dazu werden die Bewegungen möglichst vieler der der 18 Beingelenke aufgezeichnet und analysiert. Begleitend zur Datenanalyse werden dann Modelle entwickelt, die die komplexen Bewegungsabläufe so wenig kompliziert wie möglich erklären können.
Die Nasen der Insekten sind ihre Antennen. Mit ihnen nehmen Sie Gerüche aus der Umgebung auf und leiten diese Informationen an den Antennallobus weiter, wo sie von speziellen Nervenzellen (Neuronen) analysiert und interpretiert werden. Der Antennallobus ist ein Teil des Gehirns von Insekten, einschließlich der Stabheuschrecken (Carausius morosus). Er befindet sich im vorderen Bereich des Gehirns und ist für die Verarbeitung von Geruchsinformationen zuständig. In Aufbau und Funktion ist er unserem Riechkolben (Bulbus olfactorius) sehr ähnlich und wird deshalb gründlich erforscht.
In diesem Forschungsprojekt untersuchen Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld, die Aktivität von Nervenzellen im Antennallobus als Reaktion auf Gerüche. Dabei wurden mehrere Nervenzellen gleichzeitig beobachtet und 3D-Rekonstruktionen verschiedener Gehirnregionen erstellt, um die Region der Geruchsverarbeitung sichtbar zu machen. Im nächsten Schritt werden diese Methoden komibiniert, um die Wechselwirkungen zwischen Geruchs-, Tast- und Eigenwahrnehmungsinformationen auf verschiedenen Verarbeitungsebenen im Gehirn von Stabheuschrecken zu untersuchen.
Honigbienen sammeln an Blüten unterschiedlichster Farben und Gerüche. Dabei lernen sie, welche Kombination aus Duft und Farbe zu welcher Tageszeit den besten Nektar und Pollen bietet. Zurück im Bienenstock können sie die Entfernung und Richtung dieser Futterquellen mit Hilfe des sogenannten "Schwänzeltanzes" an ihre Artgenossinnen kommunizieren und so noch mehr Sammlerinnen rekrutieren.
Wie die beiden Modalitäten (Duft und Farbe) im Gehirn repräsentiert sind und auf welcher Gehirnebene beide Informationskanäle während des Lernens integriert werden, erforschen Wissenschaftler*innen der Universität Bielefeld. Dabei wird Bienen mit Hilfe von klassischer „Pawlowscher“ Konditionierung beigebracht eine Farb-Duft Kombination von ihren einzelnen Bestandteilen (Licht und Duft alleine) zu unterscheiden. Gleichzeitig werden verhaltensphysiologische Beobachtungen mit elektrophysiologischen Aufnahmen einzelner Gehirnzellen kombiniert, umso dem Gedächtnis auf die Spur zu kommen.
Organismen können sich im Laufe ihres Lebens an ihre Umwelt anpassen. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die Strategien der Blasenschnecke (Physella acuta), um Raubtieren zu entgehen. Diese bis zu einem Zentimeter große Schnecke stammt ursprünglich aus Nordamerika, hat sich aber seither aufgrund ihrer außerordentlichen Anpassungsfähigkeit weltweit verbreitet. Wenn Raubtiere vorhanden sind, krabbelt diese Schnecke häufiger aus dem Wasser, um ihnen zu entgehen. Diese Schnecken sind allerdings auch dazu imstande, längerfristig ihr Gehäuse dicker und runder zu machen, um nicht geknackt werden zu können. Zudem können sie die Farbe ihres Mantels verändern, um in ihrer natürlichen Umgebung schwer erkennbar zu sein.
Auch die Reproduktionsstrategie und Persönlichkeit der Blasenschnecke wird durch die Anwesenheit von Raubtieren verändert. Um zu untersuchen, wovon die Ausprägungen solcher Verteidigungen abhängig sind, verwenden die Wissenschaftler*innen an der Universität Bielefeld Verhaltensbeobachtungen und fertigen Fotos der einzelnen Tiere unter dem Mikroskop an. Zudem werden die Schnecken regelmäßig gemessen und gewogen. Diese Tierversuche werden durch chromatographische, epigenetische und genetische Methoden ergänzt, um ein umfassendes Bild der vielfältigen Verteidigungen dieser Süßwasserschnecke zu erhalten