(Welt-)Ordnungen und Zukunftsentwürfe. Rassistische Vergleichspraktiken in der Karibik (1791–1912)
Die Haitianische Revolution, die von europäischen Zeitgenossen als „Rassenkrieg“ und Umkehrung der „natürlichen Verhältnisse“ bezeichnet wurde, stellte die imperialen wie nationalen und lokalen (Welt-)Ordnungen grundlegend in Frage. Zugleich ermöglichte sie für Weiße und People of Color bisher unvorstellbare Zukunftsentwürfe.
Wie wir in der ersten Förderphase herausarbeiten konnten, entstanden in der Karibik seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert – unter Rückgriff auf vormoderne Traditionen – Vergleichspraktiken, in deren Zentrum die Kategorie „Rasse“ stand. Die „Rasse“-Vergleiche standen indes je nach Kontext in einer spezifischen Verbindung mit Klasse-, Klima- und Geschlechterkonzeptionen. Wir sprechen daher bei dieser immer wieder auftauchenden Bündelung von einer „Vergleichsformation“.
In der aktuellen Förderphase fragen wir danach, wie sich die Vergleichsformation „‚Rasse‘-Klasse-Klima-Geschlecht“ seit der ersten république noire konsolidierte und welche Sprengkraft sie in der langen Erinnerungsgeschichte der Revolution in der Karibik entfaltete. Wir vermuten, dass sie noch 1912 die kubanische guerra de razas befeuerte und dazu beitrug, dass rassistische Vergleichspraktiken zur Grundlage der lokalen Nationenbildung wurden. Zudem gehen wir davon aus, dass die Vergleichsformation zentral für die Rhetorik der USA als aufsteigender Weltmacht war. Analytisch konzentrieren wir uns auf die Herausbildung bestimmter communities of practice, die zu Motoren für den Wandel der Vergleichsformation und somit des global wirksamen „Rasse“-Begriffs wurden.
Das Projekt gliedert sich in verschiedene Unterprojekte und Studien: Eine Studie zu Saint Domingue/ Haiti 1791–1804, eine Studie zu Kuba 1880–1912, ein übergreifend ausgerichtetes Unterprojekt, das die Veränderung der Vergleichsformation in der Humangeographie insbesondere bezüglich des im 19. Jahrhundert sich verfestigenden Klimadeterminismus untersucht sowie ein Unterprojekt, das analysiert, ob bzw. inwieweit die Vergleichsformation die (kubanische) Anthropologie als Disziplin zu Beginn des 20. Jahrhunderts beeinflusste.
Rassistische Vergleichspraktiken werden darüber hinaus in assoziierten Projekten untersucht. Analysiert werden Staatsbürgerschaftsverfahren in Französisch West- und Äquatorialafrika, Rassifizierungsprozesse in der Vergleichenden Anatomie in Europa und Nord-Amerika, Entschädigungsverfahren ehemaliger Plantagenbesitzer des postrevolutionären Haiti sowie soziale Bewegungen und kollektive Gewalt in europäischen und US-amerikanischen Hafenstädten.
Die Kriege um 1898 forderten die bestehende Weltordnung heraus: Mit dem Sieg über Spanien etablierten sich die USA als Imperialmacht, und die ehemaligen Kolonien Kuba, Puerto Rico und die Philippinen gerieten in neue Abhängigkeiten.
Auch auf nationaler, lokaler und internationaler Ebene stellten die Ereignisse die Ordnung in divergenten gesellschaftlichen Kontexten infrage. Innerhalb der USA traten Spannungen im Verhältnis zwischen Arbeitern, Arbeiterinnen und Unternehmen in gewalttätigen Streiks zutage. Auf den Philippinen veränderte der Übergang zwischen spanischer und US-amerikanischer Kolonialherrschaft die Vorstellungen politischer Akteure über die Zukunft ihrer Nation. Europäische, meist männliche Beobachter bewerteten infolge der Kriege Ende des 19. Jahrhunderts globale und nationale Führungsansprüche neu.
Mithilfe temporal und räumlich codierter Vergleichspraktiken suchten unterschiedliche Akteursgruppen nach neuen diskursiven (Welt-)Ordnungen und gesellschaftlichen Zukunftsentwürfen. Deren Bedeutung für Transformationen (trans-)lokaler, (trans-)nationaler oder globaler Reichweite stehen im Zentrum des Teilprojekts.