Susan Pedersen gehört zu den renommiertesten Wissenschaftler*innen auf dem Gebiet der Globalgeschichte, der Geschichte der europäischen Imperien und des Kolonialismus, der britischen Geschichte sowie der Geschlechtergeschichte, mit einem Schwerpunkt auf dem 19. und dem frühen 20. Jahrhundert. Susan Pedersens Forschung zeichnet von Anfang an eine Verbindung zu anderen Disziplinen aus. Ihre Arbeiten liegen an der Grenze zwischen Geschichtswissenschaft und anderen Wissenschaften, insbesondere Rechtswissenschaft (Völkerrecht), Politikwissenschaft (Internationale Beziehungen und Weltgesellschaftsforschung) und Frauenforschung. Die Arbeiten werden weit über die Geschichtswissenschaft hinaus anerkannt und rezipiert. Susan Pedersen war Fellow an mehreren Institutes of Advanced Study, unter anderem in Oxford, Princeton und Berlin. Drei ihrer Bücher erhielten Auszeichnungen.
Mit ihrem 2015 erschienenen Buch The Guardians: The League of Nations and the Crisis of Empire setzte Susan Pedersen neue Maßstäbe in der Bewertung des Völkerbunds und der Rekonstruktion des europäischen Kolonialismus. Der Völkerbund galt bis dahin im Wesentlichen als eine Weltorganisation, die den politischen Herausforderungen der Zeit nicht gewachsen gewesen und als gescheitert anzusehen sei. Susan Pedersen trat dem am Beispiel der Mandatskommission des Völkerbunds mit klugen und überzeugenden Argumenten entgegen. Die Kommission war eingesetzt worden, um die Verwaltung der 1919 abgetretenen Gebiete des Deutschen Reichs in Afrika und Asien und des Osmanischen Reichs im Nahen Osten durch europäische Großmächte und nicht-europäische Staaten zu überwachen. Politisch unerwartet, bildete die Kommission in der Zwischenkriegszeit auch eine Plattform für Auseinandersetzungen um die Legitimität des europäischen Kolonialismus, nicht nur mit Blick auf die Mandatsgebiete. Mit ihrem Ansatz und ihren Ergebnissen hat Susan Pedersen eine neue Richtung innerhalb der Globalgeschichte entscheidend geprägt, die die Rolle und den Beitrag von nicht-europäischen Akteuren bei der Gestaltung von Weltpolitik heraushebt (internationalism). Die Arbeiten zur Geschlechterforschung nehmen ungewöhnliche Frauenpersönlichkeiten in den Blick, die in der von Männern dominierten Welt um 1900 einen Platz für ihre politischen Ambitionen suchen und finden (Eleanor Rathbone and the Politics of Conscience). Die Sensibilität gegenüber Aspekten der Abhängigkeit von anderen, insbesondere in der Familie und im Geschlechterverhältnis, führen Susan Pedersen zu neuen und weiterführenden Einsichten in die wohlfahrtstaatliche Entwicklung in Europa, insbesondere in Großbritannien und Frankreich (Family, Dependence, and the Origins of the Welfare State).
Susan Pedersens besondere Begabung ist es, Menschen, Ereignisse und Zusammenhänge sichtbar zu machen, die zuvor wenig beachtet wurden. Ihre Arbeiten stoßen gerade deshalb dazu an, etablierte Konzepte auch in den Nachbarwissenschaften neu zu denken, etwa Konzepte der Gleichheit, der staatlichen Souveränität, der Selbstbestimmung oder des Universalismus.
Susan G. Pedersen ist Gouverneur Morris Professor of History im Department of History an der Columbia University in New York.
Die Preisverleihung fand am 4. Juli 2022 im Hörsaalgebäude Y der Universität Bielefeld statt
Die Laudatio hielt Professorin Claudia Wiesemann.
Festvortrag und Laudatio, 4. Juli 2022
Der Wissenschaftspreis im Gedenken an Niklas Luhmann würdigt im Jahr 2020 eine Pionierin der modernen Medizinethik, die Münsteraner Professorin für Medizinethik Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert. Bis heute hält sich hartnäckig die Vorstellung, dass sich die Moral von Ärztinnen und Ärzte wesentlich an dem aus der Antike stammenden Hippokratischen Eid bemisst. Dabei hat sich die medizinische Ethik in den letzten Jahrzehnten längst von dieser herkömmlichen Standesethik gelöst. Sie bildet eine vielfach aufgefächerte, hochprofessionelle Disziplin, die wesentlich zur Bewältigung der Probleme der modernen Medizin beiträgt. Frau Schöne-Seifert hat in diesem Prozess in Deutschland eine führende Rolle gespielt. Sie war langjähriges Mitglied des Deutschen Ethikrates und ist bis heute in zahlreichen Akademien und Kommissionen aktiv.
Schon während ihres Studiums in Freiburg, Göttingen, Wien, Los Angeles und Washington DC hat sich Frau Schöne-Seifert parallel mit Medizin und Philosophie auseinandergesetzt. Sie ist promovierte Kinderärztin und zugleich habilitierte Philosophin. In den USA lernte sie aus erster Hand die Diskussionskultur der sich damals gerade entwickelnden biomedizinischen Ethik kennen. Kennzeichnend für diese Ethik sind die Betonung sorgfältiger analytischer Argumentationen, die naturwissenschaftliche Fundierung und ihre liberale, menschenrechtlich geprägte Grundhaltung. Die Preisträgerin hat dieses Verständnis medizinischer Ethik in Deutschland kenntnisreich und meinungsstark umgesetzt.
Ihre prägende Bedeutung für die deutsche Medizinethik liegt zum einen in ihren einflussreichen Beiträgen zu praktisch allen Debatten, die in den letzten dreißig Jahren in Deutschland geführt wurden: über Hirntod, Embryonenforschung, Sterbehilfe, Organtransplantation, Neurowissenschaften, dementielle Erkrankungen, Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, Impfpflicht und Komplementärmedizin. Frau Schöne-Seifert bezieht stets klar Position und scheut dabei auch nicht vor öffentlichem Streit zurück, wie ihre engagierte Kritik an der Homöopathie in den letzten Jahren belegt. Zum anderen ist sie eine der führenden Theoretikerinnen des Konzepts der Patient*innen-Autonomie in Deutschland. Ihre Position ist dabei von einer großen Freiheitsliebe und tiefem Misstrauen gegenüber allen paternalistischen Tendenzen in der Medizin bestimmt.
Dass die Preisträgerin sowohl Ärztin als auch Philosophin ist, merkt man ihren Veröffentlichungen und öffentlichen Auftritten immer wieder an. Sie schafft es wie kaum jemand anderes in Deutschland die Brücke zwischen ganz konkreten Anliegen der medizinischen Praxis und hoch abstrakten moralphilosophischen Debatten zu schlagen, ohne auf der einen oder anderen Seite Abstriche bei den professionellen Standards machen zu müssen. Dadurch hat sie einen einzigartigen Einfluss sowohl auf die klinische Ethik wie auf die systematische Philosophie. Herausragend war dieser Einfluss beispielsweise im Rahmen der Münsteraner Kolleg-Forschergruppe „Normenbegründung in Medizinethik und Biopolitik“, zu deren Leiter*innen sie acht Jahre lang gehört hat.
Ein gutes Bild von der Breite ihrer Überlegungen vermittelt auch ihr Lehrbuch „Grundlagen der Medizinethik“. Es steht für eine weitere herausragende Eigenschaft der Preisträgerin, ihr Bemühen um die Vermittlung medizinethischer Inhalte in der Hochschullehre, an angehende Ärztinnen und Ärzte. Der Wissenschaftspreis ehrt damit eine Forscherin, die nicht nur ausgezeichnete medizinethische Forschungsergebnisse vorzuweisen hat, sondern auch dafür sorgt, dass diese den Menschen unmittelbar zugutekommen.
Die Preisverleihung fand am 27. Februar 2019 am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld statt.
Die Laudatio hielt Professor Jürgen Osterhammel.
Mit Barbara Stollberg-Rilinger wird eine Wissenschaftlerin geehrt, die nicht nur zu den herausragendsten Vertreterinnen ihrer Disziplin gehört, sondern mit großer intellektueller Neugier immer auch fachliche Grenzen überschritten hat. Sie ist Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster und wurde vielfach für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur politischen Bedeutung von Ritualen, Zeremonien und Symbolen in der Frühen Neuzeit ausgezeichnet. Mit ihrem Programm einer Kulturgeschichte des Politischen hat sie nicht nur der Geschichte eine neue Sichtweise auf die Praktiken von Macht und Herrschaftsausübung erschlossen. In ihren Büchern macht sie die Fremdartigkeit dieser Epoche für uns heute anschaulich und verständlich, ohne die Differenz zwischen damals und heute aufzugeben. Dass die sogenannte "Vormoderne" nicht vormodern war, sondern mit ihren Problemen anders, aber nicht weniger rational umging, belegt sie eindrücklich in ihren beiden wohl bekanntesten Büchern "Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches" (2008) und in ihrer umfangreichen Biographie über Maria Theresia (2017). Diese beiden Werke sind der Höhepunkt ihres Programms, das sie in einer Vielzahl von Einzelstudien ausgearbeitet und in der Ausstellung "Spektakel der Macht. Rituale im Alten Europa 800-1800" im wörtlichen Sinne sichtbar gemacht hat. Barbara Stollberg-Rilinger hat in ihrer Forschung immer über die Grenzen ihres Faches hinausgeblickt. Inspiriert von Luhmanns Unterscheidung zwischen Interaktion, Organisation und Gesellschaft beschrieb sie die Gesellschaft der Frühen Neuzeit als eine Ordnung, in der Entscheidungen Anwesenheit voraussetzten und Interaktionsdynamiken eine wesentliche Rolle spielten. Den Leibniz-Preis, der ihr 2005 zugesprochen wurde, setzte sie für ein Projekt ein, das in Auseinandersetzung mit Luhmanns Verfahrenstheorie die Spezifik vormoderner Verfahren untersuchte. Auch aus diesem Grund ist Barbara Stollberg-Rilinger eine würdige Preisträgerin für einen Preis, der in Erinnerung an einen großen Soziologen vergeben wird, der sich von eingeschliffenen intellektuellen und fachlichen Grenzen auch nie beirren ließ.
Die Preisverleihung fand am 15. November 2016 in der Kunsthalle Bielefeld statt.
Die Laudatio "Demokratie ist Geschichte - Pierre Rosanvallons Untersuchungen zur modernen Demokratie in praktischer Absicht" hielt Professor Lutz Raphael.
Der Preisträger selbst sprach in seinem Festvortrag zum Thema "La démocratie du XXIe siècle".
Mit Pierre Rosanvallon erhält ein großer Demokratietheoretiker mit Weltgeltung den diesjährigen Bielefelder Wissenschaftspreis, der in Erinnerung an Niklas Luhmann vergeben wird. Rosanvallon (geb. 1948), Professor für neue und neueste Geschichte am Collège de France, oft und nicht ohne Berechtigung auch als Philosoph oder Politologe bezeichnet, hat seine Forschungen vor allem der kritischen Überprüfung und zeitgemäßen Neubestimmung der großen Leitideen der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Ordnung gewidmet. Seine Bücher über Demokratie, Repräsentation, Wahlrecht und Mehrheitsprinzip, Souveränität, Gleichheit, Wohlfahrtstaat, Markt fügen sich zu einem eindrucksvollen Gesamtwerk, das wegweisend für die Zustandsbestimmung und Fortentwicklung der Demokratie geworden ist und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde. Nicht weniger rühmenswert als sein wissenschaftliches Werk ist sein öffentliches Wirken, vor allem durch die Gründung von "La République des idées", einem "Atelier international" zur intellektuellen Neubegründung Frankreichs und Europas sowie mit der Website "La vie des idées", die den Versuch unternimmt, qualitativ hochwertige Information über die ideellen Grundlagen der Politik für ein interessiertes Publikum jenseits der Gelehrten und Intellektuellen zur Verfügung zu stellen.
Die Preisverleihung fand am 4. November 2014 in der Kunsthalle Bielefeld statt.
Die Laudatio hielt Professorin Kärin Nickelsen.
Die Preisträgerin selbst sprach in ihrem Festvortrag zum Thema "Eigeninteresse und das gespaltene Selbst. Von der Aufklärung zum Kalten Krieg".
Mit der Preisvergabe zeichnet die Jury eine der weltweit führenden Vertreterinnen des Faches Wissenschaftsgeschichte aus. Die Arbeiten der Preisträgerin haben die Wissenschaftsgeschichte in den letzten Jahrzehnten maßgeblich mitgeprägt. Sie thematisieren insbesondere epistemologische und ontologische Kategorien, die wissenschaftliche Untersuchungen und ihre Standards formen. Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit wirkt sie in außergewöhnlicher Weise als gleichsam sachkundige wie inspirierende und engagierte Begleiterin des wissenschaftlichen Nachwuchses.
Die Preisverleihung fand am 29. Januar 2013 in der Kunsthalle Bielefeld statt.
Die Laudatio hielt Professorin Uta Frith.
Der Preisträger hielt seinen Festvortrag auf Grundlage einer Präsentation.
Mit seinen Forschungen hat Perner das Fundament für eine lebhafte und produktive Theoriedebatte gelegt. Diese Debatte greift klassische philosophische Fragen auf und diskutiert sie im Licht der neuen empirischen Erkenntnisse: Was können wir über die Gedanken, Gefühle und Absichten anderer Menschen wissen? Wie entsteht dieses Wissen? Und was bedeutet es, wenn es nicht zustande kommt? Perners Forschung zur Theorie des Geistes hat zahlreiche Studien in benachbarten wissenschaftlichen Disziplinen angeregt, wie zum Beispiel in der vergleichenden Verhaltensforschung, der kognitiven Neurobiologie oder der sozialen Robotik. Er ist Pionier und Architekt eines weltweiten Forschungsnetzwerkes geworden. Damit erfüllt Josef Perner in besonderer Weise den Gedanken der interdisziplinären Wissenschaft, welcher sich der Bielefelder Wissenschaftspreis in Anlehnung an die Grundüberzeugungen Niklas Luhmanns besonders verpflichtet fühlt.
Die Preisverleihung fand am 19. November 2010 in der Kunsthalle Bielefeld statt.
Die Laudatio hielt Professor Christoph Markschies.
Der Preisträger hielt einen Festvortrag zum Thema "Die Sakralität der Person".
Mit Hans Joas ehrt die Jury einen der profiliertesten deutschen Soziologen und Sozialphilosophen der mittleren Generation mit großer internationaler Ausstrahlung, der die seit Max Weber weithin vernachlässigte handlungstheoretische Dimension erneut in die Theoriedebatten der Soziologie eingebracht hat. Joas betont nicht die soziale Determiniertheit, sondern die Kreativität menschlichen Handelns, welche in enger Beziehung zur Identifikation mit kulturellen Werten steht. Durch seine Rezeption des amerikanischen Pragmatismus hat er die theoretischen Debatten, aber auch die praktische Bedeutung der Soziologie in Deutschland nachhaltig gefördert. Seine Forschungsinteressen richten sich dementsprechend vor allem auf die soziale Dimension der Werte: Ihre Entstehung und ihren Wandel, Formen der Wertekommunikation und ihre Wirkung in subjektiven Erfahrungen der Selbsttranszendenz. Er leistet wesentliche Beiträge zur Religionssoziologie, zur Wechselwirkung zwischen Werteentstehung und Gewaltgeschichte im 19. und 20, Jahrhundert und damit auch zu einer Soziologie des Krieges. Seine Hauptwerke sind in mehrere Sprachen übersetzt.
Die Preisverleihung fand am 30. Januar 2009 im auditorium maximum der Universität Bielefeld statt.
Die Laudatio hielt Professor Axel Honneth.
Der Preisträger hielt einen Festvortrag zum Thema "A genealogy of liberty".
Quentin Skinner hat die politische Ideengeschichte auf eine neue Grundlage gestellt. Er wendet sich gegen eine Ideengeschichte, welche die großen Werke der politischen Philosophie nur aus sich heraus verstehen will und den historischen Kontext, in dem sie entstanden sind, für irrelevant hält. Ebenso entschieden verwirft er aber auch eine Ideengeschichte, die ein Werk allein aus dem Kontext erklären zu können meint. Wegen der Bedingtheit aller Werke der politischen Philosophie wendet sich Skinner auch gegen die verbreitete Annahme, in der politischen Ideengeschichte seien zeitlos gültige Wahrheiten aufgehoben, die jede Zeit zur Lösung ihrer Probleme abrufen könne. Wer in diesem Sinn hofft, aus der Geschichte lernen zu können, irrt. Wer glaubt, aus den Antworten großer Philosophen auf grundlegende Fragen Nutzen für die Gegenwart ziehen zu können, wird die Erfahrung machen, dass die Antworten in einem anderen zeitlichen oder kulturellen Zusammenhang so unterschiedlich wirken, dass man zweifeln kann, ob es sich noch um dieselben Fragen handelt. Die Ideengeschichte ist deswegen aber nicht etwa irrelevant für die Gegenwart. Doch geht es um eine Relevanz, die jenseits der Nutzanwendung auf das Heute liegt. Die Beschäftigung mit der Ideengeschichte kann vielmehr helfen, die Bedingtheit der eigenen Vorstellungswelt aufzudecken, und damit gerade zur genaueren Wahrnehmung der Gegenwart beitragen. Am Ende steht für Skinner die Mahnung: ?We must learn to do our own thinking for ourselves.? Praktiziert hat Skinner diese Methode in zahlreichen Büchern und Abhandlungen zur politischen Philosophie der frühen Neuzeit. Mit seinem frühen zweibändigen Werk ?The Foundations of Modern Political Thought? ist er zum Begründer der sogenannten Cambridge School of Intellectual History geworden. Seine Bücher haben viele Auflagen erfahren und sind in viele Sprachen übersetzt worden. Er gilt inzwischen als der weltweit herausragende Ideengeschichtler und belebt mit seinen historischen Forschungen auch den aktuellen Diskurs. Obwohl er im Zuge seiner Arbeiten oft nach Deutschland geblickt und sich dabei insbesondere mit zwei berühmten Bielefeldern, Niklas Luhmann und Reinhart Koselleck, auseinandergesetzt hat, auch ein Jahr Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin war, ist unter den zahlreichen Ehrungen, die ihm zuteil geworden sind, bisher keine aus Deutschland.
Die Preisverleihung fand am 15. Dezember 2006 in der Stadthalle Bielefeld statt.
Die Laudatio hielt Professor Jürgen Habermas.
Der Preisträger hielt einen Festvortrag zum Thema "Interpretation in general".
Mit Ronald Dworkin wird einer der einflussreichsten Rechtsphilosophen der Gegenwart geehrt. Zwischen einem gerechtigkeitsunempfindlichen Rechtspositivismus auf der einen und einem die demokratische Entscheidungsfreiheit vernachlässigenden Naturrecht auf der anderen Seite sucht er einen "Dritten Weg". Einerseits besteht er gegenüber dem positivistischen Trennungsdogma zwischen Recht und Moral darauf, dass der Jurist bei der Auslegung und Anwendung des positiven Rechts auf ideale politische Gerechtigkeit zurückgreifen muss. Andererseits lässt er dabei aber nur spezifisch juristische Gerechtigkeitskonzepte zu, die an die positiven Normen und Institutionen einer bestimmten Rechtsgemeinschaft rückgebunden sind. Bei dieser Vermittlung spielen für ihn die Grundrechte als wichtigster positivrechtlicher Ausdruck von Gerechtigkeitsvorstellungen eine besondere Rolle. "Taking Rights Seriously" ist eines seiner Hauptwerke, wie auch Niklas Luhmann den Grundrechten ? wenngleich in systemtheoretischer Absicht ? eines seiner bedeutendsten Bücher gewidmet hat.
Die Preisverleihung fand am 4. Dezember 2004 in der Stadthalle Bielefeld statt.
Die Laudatio hielt Professor Klaus von Beyme.
Professor Scharpf hielt einen Festvortrag zum Thema "Politische Steuerung heute?".
Renate Mayntz studierte in den Vereinigten Staaten und an der FU Berlin, wo sie sich 1957 habilitierte. Vor Ihrer Berufung als Gründungsdirektorin des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung war sie Ordinaria für Soziologie an der FU Berlin, der Hochschule für Veraltungswissenschaften in Speyer und der Universität zu Köln. Die international renommierte Wissenschaftlerin hat zahlreiche Ehrungen erhalten, zuletzt mit der Wahl zum Auswärtigen Mitglied der American Academy of Arts and Sciences.
Fritz W. Scharpf ist Volljurist und Politikwissenschaftler. Nach Studien in Tübingen, Freiburg im Breisgau und an der Yale Law School wurde er Ordinarius für Politikwissenschaft an der Universität Konstanz, wo er den ersten verwaltungswissenschaftlichen Studiengang in der Bundesrepublik aufbaute. Von 1973 bis 1986 war er Direktor und Forschungsprofessor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Durch seine Publikationen und durch Politikberatung hat er wiederholt zu einer Veränderung politischer Einschätzungen beigetragen. Unter seinen Ehrungen ragt der international renommierte Johan-Skytte-Preis der Universität Uppsala hervor.
Mit der Preisverleihung würdigt die Jury die international herausragende Bedeutung der Forschungen über die Steuerungsmöglichkeiten komplexer Gesellschaften, welche die beiden Wissenschaftler mit dem Aufbau und der gemeinsamen Leitung des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln auf den Weg gebracht haben und in deren Rahmen eine empirische Makrosoziologie organisierter gesellschaftlicher Komplexität entstanden ist, welche ihr Augenmerk auf politisch-gesellschaftliche Problemlösungsformen "zwischen Staat und Markt" richtet: Verbandsbildungen, Verhandlungssysteme, Politiknetzwerke, institutionelle Formen der Koordination und Interessenvermittlung unter Berücksichtigung mehrerer Politikebenen, usw. Dieses dynamische Forschungsprogramm wurde in präzisierender Auseinandersetzung mit wesentlichen Einsichten der Gesellschaftstheorie des in Bielefeld lehrenden Soziologen Niklas Luhmann (1927-1998) entwickelt, an den der Bielefelder Wissenschaftspreis erinnern will. Die Luhmannsche Systemtheorie betont die Eigendynamik und "Selbstreferenz" sozialer Systeme und die daraus folgenden Steuerungsschwierigkeiten. Die Arbeiten von Mayntz und Scharpf setzen diese Schwierigkeiten voraus und versuchen zu erklären, wie trotzdem politische Steuerung und Koordination kollektiver Akteure möglich ist. Ihre theoretische Antwort bezeichnen sie als "akteurszentrierten Institutionalismus": Organisationen werden als kollektive Akteure betrachtet, welche unter bestimmten institutionellen Voraussetzungen operieren, welche einer kollektiven Problemlösungen eher zuträglich oder abträglich sein können. Eben dies gilt es empirisch zu erforschen. Zahlreiche jüngere Sozialwissenschaftler sind durch die beiden Preisträger während ihrer Institutstätigkeit geprägt und gefördert worden. Damit wurden nicht nur neue Fragen erforscht, sondern auch die Standards soziologischer Lehre und Forschung in der Bundesrepublik nachhaltig beeinflusst.