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Konferenz Geschlecht als Erfahrung - Geschlecht erleben

Logo des Graduiertenkolleg Geschlecht als Erfahrung
Campus der Universität Bielefeld
© Universität Bielefeld

Abstracts

Ivo Zender
Das Erleben von Transgeschlechtlichkeit im Text. Fiktionale trans* Literatur der Gegenwart

In meinem Konferenzbeitrag werde ich mein Dissertationsprojekt zu fiktionaler trans* Literatur der Gegenwart vorstellen. Das Projekt ist an der Schnittstelle zwischen komparatistischer Literaturwissenschaft und den Gender -, Queer - und Trans Studies verortet. Die Dissertation untersucht den Zusammenhang zwischen der Erzählform des Fiktionalen und transgeschlechtlichen Subjektivitäten. Der Fokus liegt dabei auf der Analyse literarischer Strategien und narrativer Mechanismen, die von trans* Autor_innen verwendet werden, um die narrative, gesellschaftliche und geschlechtstheoretische Konstruktion von Transgeschlechtlichkeit zu kommentieren und zu verhandeln. Vor dem Hintergrund einer jahrzehntelangen Dominanz der Autobiografie zur Erzählung transgeschlechtlicher Erfahrung und der seit den 2010er allmählich einsetzenden Veröffentlichung fiktionaler Werke von trans* Autor_innen verfolgt die Dissertation das Ziel, die neu entstehenden fiktionalen in Abgrenzung zu den traditionell autobiografischen Schreibweisen von trans* Autor_innen zu erforschen.

Die Methodologie orientiert sich an einer kontextualisierenden, post-klassischen Narratologie, in Anlehnung an Susan Lanser. Durch die Erforschung der Bedeutung, Funktion und den Möglichkeiten fiktionaler Schreibweisen für die Literarisierung transgeschlechtlicher Erfahrung zielt die Dissertation auch darauf ab, den Mangel an bisher existierenden transnarratologischen Analysen zu adressieren. In den Analysen werden verschiedene fiktionale Erzählformen und -verfahren wie Metafiktionalität oder die Form des Briefromans, die trans* Autor_innen in ausgewählten deutsch-, spanisch- und englischsprachigen Romanen zwischen 2017 und 2022 verwenden, analysiert. In meinem Konferenzbeitrag werde ich erste Ergebnisse dieser transnarratologischen Analyse vorstellen.

In my contribution to the conference, I will present my dissertation project on contemporary fictional trans literature. The project is situated at the intersection of comparative literary studies and Gender, Queer, and Trans Studies. The dissertation examines the relationship between the narrative form of fiction and transgender subjectivities. The focus lies on analyzing literary strategies and narrative mechanisms employed by transgender authors to comment on and negotiate the narrative, societal, and gender theoretical construction of transgender identity. Against the backdrop of a decades-long dominance of autobiography in narrating transgender experience and the gradual emergence of fictional works by transgender authors since the 2010s, the dissertation aims to explore the newly emerging fictional narratives in contrast to the traditionally autobiographical modes of writing by transgender authors.

The methodology is grounded in a contextualizing, post-classical narratology, inspired by Susan Lanser. By exploring the significance, function, and possibilities of fictional writing for the literary representation of transgender experience, the dissertation also aims to address the lack of existing transnarratological analyses. The analyses examine various fictional narrative forms and techniques such as metafictionality or the epistolary form employed by transgender authors in selected German, Spanish, and English-language novels between 2017 and 2022. In my conference contribution, I will present initial findings from this transnarratological analysis.

 

Ell Rutkat
Verflüssigung von Geschlecht und Sex(ualität) im Erleben von Squirting und anderen Genitalflüssigkeiten

Um das vergeschlechtlichte Erleben von Genitalflüssigkeiten im Kontext der hegemonialen Geschlechterordnung zu beforschen, habe ich im Rahmen meiner Dissertation narrative, erlebensbezogene Interviews mit trans*, nicht-binären, inter* und agender Personen sowie queeren und heterosexuellen cis Frauen geführt und diese zu ihren konkreten Erfahrungen mit ihren Genitalflüssigkeiten, insbesondere zur Praktik des „Squirting“, befragt. Die mir vorliegenden Interviews sind Zeugnis der – von den Gender Studies längst konstatierten – Wandelbarkeit von Geschlecht und dessen Verstrickung mit Sex(ualität). Meine Interviewpartner*innen erzählen u.a. davon, wie (für sie neue) sexuelle Praktiken, die Squirt- und andere Genitalflüssigkeiten involvieren, ihr Geschlechtsempfinden, ihren Körperbezug und teilweise ihre sexuelle Orientierung verändern. Andersrum kann ein sich wandelndes Geschlechtsempfinden im Laufe einer Biografie oder Lebensphase, so zeigen die Erzählungen, neue, zuvor nicht gelebte (sexuelle) Körperpraktiken hervorbringen. Ausgehend vom Selbstverständnis der von mir interviewten Individuen, denke ich sowohl Squirting als auch andere körperliche Praktiken mit Genitalflüssigkeiten als Phänomene, die an der Herstellung von Geschlecht, insbesondere von nicht-hegemonialen geschlechtlichen Existenzweisen beteiligt sind. Dabei nehme ich nicht nur die geschlechtlichen und sexuellen Selbstverhältnisse, die im ständigen Wandel und Werden begriffen sind, unter eine heteronormativitätskritische Lupe, sondern auch eben jene Verwobenheit von Geschlecht und Sex(ualität) als Machtinstrumente gesellschaftlicher Ordnung. In diesem Vortrag werde ich Einblicke in meine Analyseergebnisse geben und anhand konkreter Beispiele aus den Interviews aufzeigen, was es in meiner Forschung für mich bedeutet, das Erleben von Genitalflüssigkeiten im Kontext vergeschlechtlichter und vergeschlechtlichenden (sexueller) Körperpraktiken zu betrachten und dabei den Fluss von Genitalflüssigkeiten bis hin zur Verflüssigung von Geschlecht und Sex(ualität) sowohl empirisch als auch theoretisch nachzuverfolgen.

 

Annika Klanke
»Das Private ist schließlich nach wie vor politisch« - Formen und Funktionen von geschlechtlicher Erfahrungsdarstellung im feministischen Essay der Gegenwart

Erfahrung ist nach wie vor ein zentraler Bezugspunkt feministischer Theoriebildung, politischer Praxis und auch Literatur. Das gilt insbesondere für aktuelle feministische Essays. Autorinnen wie Margarete Stokowksi (2016), Mely Kiyak (2020), Enis Maci (2016), Carolin Emcke (2012) und andere beziehen sich in feministischen Essays auf subjektive Erfahrungen und machen deren Darstellung und reflexive Interpretation zum Ausgangspunkt feministischer Kritik. In meinem Vortrag möchte ich exemplarisch (zwei oder drei) verschiedene essayistische Strategien der Erfahrungsdarstellung, -reflexion und -interpretation vorstellen und darauf aufbauend danach fragen, welche Strategien der Funktionalisierung und Politisierung von Erfahrung in den Essays verfolgt werden. Abschließend werde ich versuchen, die in den Essays entwickelten feministischen Subjektideale zu konturieren und kritisch daraufhin zu befragen, wo und wie sie innerhalb ihres grundsätzlich herrschaftskritischen Anliegens (möglicherweise) selbst hegemoniale Tendenzen entwickeln. 

"The Private is still Political" - Forms and Functions of Gendered Experience Representation in Contemporary Feminist Essayism

Experience continues to be a central point of reference of feminist theorising, political practice and literature. This applies especially for contemporary feminist essays. Margarete Stokowksi (2016), Mely Kiyak (2020), Enis Maci (2016), Carolin Emcke (2012) and others refer to subjective experiences in feminist essays and make their representation and reflexive interpretation the starting point for feminist criticism. In my presentation I would like to give examples of (two or three) different essayistic strategies of experience representation, and, building on this, ask which strategies of experience functionalisation and politicisation the essays pursue. In conclusion, I will attempt to summarise outlines of feminist subject ideals of the present and critically question how these (possibly) develop hegemonic tendencies.

 

Jannis Ruhnau
Vergeschlechtlichte Selbstverhältnisse in Praktiken des Erzählens: Kraftsport als Metapher der Subjektwerdung

Der Vortrag präsentiert auf der Grundlage subjektivierungstheoretischer Überlegungen Michel Foucaults und Judith Butlers, auf welche Weise Selbstverhältnisse in narrativen Interviews analysiert werden können. Dafür wird zunächst der Begriff des Selbstverhältnisses in Bezug auf die Subjektkonstitution Foucaults erläutert. Anschließend stelle ich anhand Ausführungen Butlers subjektivierungstheoretische Bestimmungen des Interviews als Sprechsituation heraus. Auf dieser Basis gehe davon aus, dass Selbstverhältnisse sich auf drei Ebenen des Interviews zeigen und untersuchen lassen: erstens auf der inhaltlichen Ebene, zweitens auf der sprachlich-formalen Ebene und drittens auf der performativen Ebene der Interaktion. Diesen Zugang demonstriere ich anhand von Interviewmaterial und arbeite die Herstellung eines solchen Selbstverhältnisses heraus. Die zentrale These lautet, dass das im Interview hergestellte Selbstverhältnis sich als ein doppelt Bedrohtes erweist, das sich immer wieder aufs Neue selbst in Frage stellen muss. Kraftsport erweist sich in diesem Zusammenhang als Selbsttechnik, die es ermöglicht, das prekär gewordene Subjekt immer wieder von neuem zu konstituieren. In diesem Selbstverhältnis zeigt eine queerfeministische Subjektivierungsweise, die sich immer wieder reflexiv auf die eigenen Entstehungsbedingungen bezieht und diese zu unterlaufen sucht, dabei jedoch stets von ihnen eingeholt wird.

 

Johanna Budke
Das Erleben von Zeitlichkeit in der Erfahrung früher Wechseljahre

In der Bezeichnung frühe oder vorzeitige Wechseljahre wird sichtbar, dass Zeit eine wesentliche Rolle in der Charakterisierung des Phänomens einnimmt. Frühe Wechseljahre werden als anders oder abweichend von den Wechseljahren markiert, die zur „richtigen“ Zeit – nicht „zu früh“ oder „zu spät“ – eintreten. Im Rahmen des Vortrags wird herausgearbeitet werden, dass Zeitlichkeit nicht nur in der Bezeichnung offenbar wird, sondern sich vielmehr auch in der Erfahrung früher Wechseljahre niederschlägt. Die Wahrnehmung ist (vorübergehend) anders, geprägt durch spezifische Zeiterfahrungen in bestimmten Momenten und Kontexten der Erfahrung früher Wechseljahre.

In Anlehnung an Fuchs und seine phänomenologischen Ausarbeitungen über das Erleben von Zeitlichkeit soll gezeigt werden, wie die Diagnose oftmals die Kontinuität des gewohnten Lebens durchbricht und mit einem temporären Wandel der subjektiven Zeitlichkeit einhergeht. Zu den relevanten Dimensionen der Zeiterfahrung gehören z.B. die Zeitlogiken der Medizin, des (drängenden) Kinderwunsches und gesellschaftlich-normativer Ansprüche an Lebensläufe.

Insgesamt ist die Erfahrung früher Wechseljahre in vielerlei Hinsicht durch gesellschaftliche Normen aufgeladen. Vorschub leistet dabei die Medizin mit ihren Wissensbeständen im Kontext medizinischer Institutionen, die das Erleben früher Wechseljahre prägt und normative Grenzen zwischen krank/gesund sowie normal/unnormal festschreibt. Diese oft impliziten Vorstellungen tragen dazu bei, dass bestimmte Erlebensformen in der Erfahrung früher Wechseljahre verunmöglicht werden und anderen Vorschub geleistet wird.

 

Assia Alkass
Titel: „Schauen wie weit mein Horizont geht“ Pornographierezeption als leibliche Grenzerfahrung des Selbst.

Unter dem Wording „Pornographiekonsum“ wird häufig diskutiert, inwiefern Pornographie potenziell negative oder positive Folgen haben kann und wird damit in den Kontext anderer Konsumwaren gestellt. Der Vortrag greift stattdessen weniger an messbaren Effekten des ‚Konsums‘ ein, sondern fokussiert das subjektive Erleben der Zuschauer*innen während des Schauens. Im Rahmen des phänomenologisch orientierten Projekts konnte in acht qualitativen Interviews herausgestellt werden, dass die Zuschauer*innen von Pornographie über eine Reihe an körperlichen Praktiken einen Raum kreieren, der es ihnen ermöglicht, sich während des Schauens auf ganz spezifische Weise zu spüren. Eine Variante des Schauens diente dabei dazu, Wissen über sich selbst und die eigene Sexualität zu generieren.

Der Vortrag zeigt entlang von Interviewausschnitten, wie dieser Umgang mit Pornographie zum einen auf eine aktive Rezeption (im Sinne der Cultural Studies) der Zuschauer*innen hindeutet und zum anderen wie sie diese nutzen, um in ein leiblich spürbares Selbstverhältnis zu treten, um schließlich auch Neu-Konturierung ihres Selbst vorzunehmen.

Diese Erkenntnisse tragen damit auch zum Verständnis des Verhältnisses zwischen Praktiken und leiblichem Erleben bei. So lässt sich das Schauen von Pornographie auch in eine Reihe von anderen Praktiken stellen, die ähnliche Effekte des Selbstspürens zum Ziel haben (vgl. Marcinski-Michel, 2020).

 

Edith Frankzelia Otero Quezada
Silence as Embodied Political Experience

Scholars of social protest and mobilization studies usually conceptualize silence as an expression of oppression, passivity and political inaction. In this way, they turn silence into the binary opposite of voice (Ochoa Gautier 2015).

Hannah Arendt (1993), for example, thinks of discourse and action as an inseparable pair, which enables subjects to participate in the public sphere. Feminism and other social protest movements have also foregrounded the importance of speech acts. Moreover, Central American studies —especially those related to memory, testimony and feminisms— have emphasized the importance of speech acts, “raising the voice,” “taking the floor,” and “breaking the silence,” thus building an analytical, historical and therefore political continuity on how to address the relationship between voice, silence and politics.

It is true that some theorists, such as Foucault (1988) and Pollak (2006), have recognized the discursive components of silence. And recently, some scholars have delved into the analysis of silence as a form of political activism, which they called “silence protest” or protest that involves non-formal forms of communication (Hatzisavvidou 2015; Brito Viera 2020). Others like Kennan Ferguson (2007) suggest that silence is polysemic, serving various purposes or functions, including oppression, resistance, creation of identities and communities, but most importantly it must be understood within its specific context. Salhi (2017) reminds us about the importance of the body as a site of political resistance and how individuals make sense of their individual and collective experience through their “first territory” —the body. Yet, little empirical research explores these dimensions using experimental, decolonial and bodily approaches to fully grasp the complexity of these experiences. Moreover, there is limited research on how silence, voice and language function in the internal collective dynamics of feminist activisms that oppose authoritarian regimes like the one in Nicaragua.

This presentation proposes exploring these concepts—voice and silence—from the body’s materiality. From there, and using different qualitative methodologies (interviews and ethnography) and decolonial feminist approaches (body-territory maps), I reconstruct their various representations and how they interact with other affective constellations: mourning and joy. In these bodily archives, silence appears as corporeality, sound, presence, imposition caused by state repression, and as a political strategy that produces ambivalent or paradoxical results.

 

Alice Farneti
Challenging Confidentiality. Experiences of Activism against Sexual Violence in University

Abstract: Camille is a student activist who holds a representative position on her university's board of directors. In board meetings concerning the university policy against sexual violence, she advocates for the complainants’ right to be informed about the results of an internal investigation. Camille recalls that during a board meeting, a professor made a rape joke directed at another student representatives, which was met with laughter by those present. Afterwards, the student representatives reported the incident in a student newspaper, breaching the confidentiality of board meetings. Camille claims that “psychological and sexist harassment” from board members are common occurrences. She believes that her outspokenness has made her the target of social hostility from institutional authorities. 

This presentation examines the issue of confidentiality of sexual violence complaints from the perspective of activists. University internal procedures are designed to protect the privacy of all parties involved and limit the possibility of defamation lawsuits against the academic institution. However, some activists, including Camille, argue that confidentiality is often used to silence students who file complaints against professors. This can benefit the aggressors by allowing them to maintain their reputation and gain access to high-level positions, where they can potentially cause further harm. In the neoliberal university context, confidentiality can be an institutional strategy to hide cases of sexual violence, distancing the academic institution from responsibility for addressing the issue. Therefore, for activists, challenging confidentiality is a strategy to dismantle institutional silence on sexual violence. Based on their experiences, I conceptualize institutional violence as a set of practices that stigmatize, alienate, and exclude individuals and social groups who question institutional power. 

 

Lisa Jüttner
Geschlechterdifferenz als Kulturkritik: Exemplarische Lektüren

Im vorliegenden Beitrag soll Geschlechterdifferenz aus einer doppelten Perspektive beleuchtet werden: zum einen im Sinne eines historischen Diskursphänomens der feministischen Theoriebildung in den 1970er und 1980er Jahren und zum anderen im Sinne eines kulturkritischen „Instrument[s] der Reflexion und Analyse.“1 Dabei soll an exemplarischen Texten gezeigt werden, dass sich innerhalb der feministischen Theoriebildung argumentative und konzeptionelle Linien nachvollziehen lassen, die bisher häufig voneinander abgesetzt rezipiert werden. So scheint sich gegenwärtig hartnäckig ein Rezeptionsphänomen zu halten, das Geschlechterdifferenz an das ‚Subjekt Frau‘ und im Gegensatz dazu Gender als unvereinbare Dekonstruktion eben dieses Subjekts versteht. Insbesondere der französische Differenzfeminismus (Cixous, Irigaray, Kristeva) der 1970er Jahre widmet der Rede über die Geschlechterdifferenz eine besondere Aufmerksamkeit. Wie jedoch bei genauerer Betrachtung deutlich wird, ist Geschlechterdifferenz hier keineswegs als essentialistischer Verweis auf geschlechtliche Binarität anzusehen, sondern meint vielmehr ein komplexes kulturkritisches Konzept, in dem ‚Weiblichkeit‘ als Intervention in ein hegemoniales phallogozentrisches System in Stellung gebracht wird. Ein zentrales methodologisches Verfahren ist die Durch- und Umarbeitung historischer Diskurse, in denen sich Geschlechterasymmetrien stabilisieren. Dabei geht es jedoch nicht um eine rationale Kritik an diesen, sondern um die mimetische Verkörperung und performative Umformung, durch die das Moment der Geschlechterdifferenz spürbar wird. So schreibt beispielsweise Irigaray, dass es „gleichsam nötig wäre, die Erde gründlich umzugraben“2, um dem näher zu kommen, was die Geschlechterdifferenz bestimmt. Ähnlich formuliert es Judith Butler, wenn sie Geschlechterdifferenz als „eine Frage [bezeichnet], die feministische Untersuchungen auslöst, etwas, was nicht ausgesagt werden kann, was die Grammatik der Aussage verwirrt und was mehr oder weniger dauerhaft zu befragen gilt.“3 So ist für Butler die Geschlechterdifferenz eine Frage historischer Kontingenz, die „Schwierigkeit zu bestimmen, wo das Biologische, das Psychische, das Diskursive, das Soziale anfangen und aufhören.“4 In meinem Beitrag möchte ich, ausgehend von dieser philosophischen Umkreisung der Geschlechterdifferenz, in zwei literarischen Texten auf die Suche gehen. Dazu habe ich bewusst zwei Texte ausgewählt, die zeithistorisch relativ weit auseinanderliegen: Ingeborg Bachmanns Malina erscheint 1971 und damit vor der eigentlichen feministischen Konsolidierungsphase in der BRD. So wird der Roman zunächst vehement abgelehnt. Erst mit dem Erstarken einer feministischen Literaturtheorie in den 1980er Jahren findet die Weiblichkeitskonstruktion in Malina Anklang. Der zweite Text ist als prominentes Beispiel der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur bekannt. In Kim de l’Horizons Blutbuch von 2022 wird Geschlechterdifferenz aus einer nichtbinären Perspektive erzählt. Meine These ist, dass sich der ‚ontologische Schwebezustand‘ der Geschlechterdifferenz in den Texten wiederfinden lässt. Auch sie können die Frage, die Butler formuliert, nämlich wo und wie Körper und Sprache die Geschlechterdifferenz bestimmen, nicht beantworten. Vielmehr versuchen sie Geschlechterdifferenz erlebbar zu machen, indem sie auf die Suche gehen, um „unter den Spuren dieser Zivilisation, dieser Geschichte die Überreste einer archaischeren Zivilisation“5 zu finden. Diese ‚Suche nach dem Ursprung‘ ist kein essentialistischer Ursprungsmythos, sondern eine literarische Annäherung an Geschlechterdifferenz als kontingente Figur, eine Beschäftigung mit den Herausforderungen, die Geschlechterdifferenz an ihre jeweilige Zeit stellt, um das sichtbar zu machen, was in der Geschichte unsichtbar geblieben ist.

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