Für (zukünftige) Arbeitnehmer*innen mit Behinderung, chronisch-somatischer oder chronisch-psychischer Erkrankung kann es sinnvoll sein, einen Grad der Behinderung amtlich feststellen und so rechtlich anerkennen zu lassen. Danach können sie gegebenenfalls einen Schwerbehindertenausweis erhalten oder eine Gleichstellung erwirken.
Eine solche Feststellung berechtigt Beschäftigte, abhängig vom anerkannten Grad der Behinderung, Unterstützung und Nachteilsausgleiche in Anspruch zu nehmen.
Ein Antrag auf Feststellung einer Behinderung kommt nicht nur für Menschen mit Mobilitäts- und Sinneseinschränkungen wie z.B. Seh- und Hörbeeinträchtigungen in Betracht. Sowohl chronisch-somatische als auch chronisch-psychische Erkrankungen können je nach Art und Ausmaß der gesellschaftlichen Teilhabeeinschränkung als Behinderung anerkannt werden!
Im Feststellungsantrag werden Angaben zur gesundheitlichen Situation, ärztlichen Behandlungen und stationären Krankenhaus- oder Reha-Aufenthalten sowie den behandelnden Ärzt*innen gemacht und durch Befundberichte belegt. Die eingereichten Unterlagen werden vom Versorgungsamt auf Grundlage der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) fachlich begutachtet.
Die Begutachtung erfolgt immer im Einzelfall und bewertet vorliegende Einschränkungen der gesellschaftlichen Teilhabe. Im Ergebnis des Feststellungsverfahrens wird entweder ein Grad der Behinderung (GdB) bestimmt oder mitgeteilt, dass die Kriterien für eine Behinderung nicht erfüllt sind.
Häufig liegen bei einer Person auch mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vor. In diesem Fall wird ein Gesamt-GdB ermittelt und im Feststellungsbescheid angegeben.
Möglicherweise ist im Feststellungsbescheid ein Überprüfungszeitraum genannt, zu dem begutachtet wird, ob die festgestellte Behinderung noch in dieser Form vorliegt. Dieser Zeitraum beträgt i.d.R. längstens fünf Jahre. Beispielsweise kann bei Krebserkrankungen eine sogenannte Heilungsbewährungszeit von i.d.R. zwei bis fünf Jahren definiert werden. Nach Ablauf dieser Zeit wird der GdB neu bewertet und gegebenenfalls angepasst.
Je nach Art der Behinderung können im Schwerbehindertenausweis auch Merkzeichen eingetragen werden, die zu verschiedenen Nachteilsausgleichen berechtigen.
Der Grad der Behinderung wird in 10er Schritten vergeben.
Mit einem festgestellten GdB von 20, 30 oder 40 gilt der*die Betroffene sozialrechtlich als behindert.
Mit einem GdB von 50 - 100 greift der sozialrechtliche Status als schwerbehindert und es wird nach SchwbAwV ein Schwerbehindertenausweis ausgestellt.
Menschen mit einem Grad der Behinderung von 30 oder 40 können schwerbehinderten Menschen sozialrechtlich gleichgestellt werden, sofern ihre Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben konkret beeinträchtigt.
Auszubildende können zeitlich befristet auch ohne amtlich anerkannte Behinderung gleichgestellt werden.
Gegen jeden Feststellungsbescheid kann innerhalb eines Monats schriftlich Widerspruch eingelegt werden. Der Widerspruch muss begründet werden.
Eine Neufeststellung des bisherigen GdBs kann mit einem Änderungsantrag erwirkt werden, z.B. wenn sich die bisherige Behinderung wesentlich verschlechtert hat. Ein Änderungsantrag birgt grundsätzlich das Risiko, dass der bisherige GdB herabgesetzt wird.
Die Arbeitgeberin ist beim Antrag auf Feststellung einer Behinderung nicht involviert. Kenntnisse über den Antrag haben lediglich die beteiligten Behandler*innen, das Versorgungsamt und etwaig einbezogene Beratungsstellen wie z.B. die SBV. Letztere unterliegt der besonderen Geheimhaltungspflicht. Auch ein festgestellter Grad der Behinderung muss der Arbeitgeberin meist nicht mitgeteilt werden.
Von dieser Regelung gibt es allerdings einige wenige Ausnahmen. Je nach Art und Schwere einer Behinderung kann es erforderlich sein, die Arbeitgeberin über tätigkeitsrelevante Symptome zu informieren, sofern die Behinderung die Ausübung der beruflichen Aufgaben einschränkt. Hierzu berät die SBV vertraulich und kompetent.
Das Ziel einer rechtlichen Gleichstellung ist die Sicherung oder Erlangung eines geeigneten Arbeitsplatzes. Durch eine Gleichstellung nach §151 SGB IX werden mit wenigen Ausnahmen die Regelungen des Schwerbehindertenrechts auf Menschen mit einem GdB unter 50 angewendet, um behinderungsbedingte Wettbewerbsnachteile auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugleichen.
Konkret hat eine Gleichstellung für Arbeitnehmer*innen positive Auswirkungen: Arbeitssuchende und Beschäftigte haben mit Gleichstellung einen umfangreicheren Anspruch auf Unterstützungs- und Förderleistungen. Beschäftigte genießen den besonderen Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen.
Antragsberechtigt sind Menschen
Behinderte Beschäftigte mit besonderem Kündigungsschutz wie Beamt*innen im Öffentlichen Dienst können im Regelfall keine Gleichstellung beantragen. Ein Antrag kommt nur unter besonderen Umständen in Betracht, z.B. wenn Dienstunfähigkeit oder die Versetzung in den vorgezogenen Ruhestand den Arbeitsplatz gefährden.
Für Jugendliche und junge Erwachsene, die eine Berufsausbildung an der Universität absolvieren, kann eine Sonderform der Gleichstellung angewendet werden. Auszubildende können bei einem GdB unter 30 oder sogar ohne amtliche Feststellung eines GdBs gleichgestellt werden und beim Integrationsamt Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben beanspruchen, z.B. Lohnkostenzuschüsse für die Arbeitgeberin. Darüberhinausgehende Nachteilsausgleiche werden ohne amtliche Feststellung einer Behinderung i.d.R. nicht gewährt.
Anders als beim Feststellungsantrag kann die Arbeitgeberin von einem Gleichstellungsantrag Kenntnis erlangen. Das Antragsverfahren sieht vor, dass die Arbeitsagentur Stellungnahmen von der Arbeitgeberin, dem Personalrat und der Schwerbehindertenvertretung einholt. Infolgedessen kann die Arbeitgeberin Zugang zu Antragsdaten des*der Beschäftigten erhalten, wie z.B. zum anerkannten Grad der Behinderung.
Die Arbeitsagentur kann Stellungnahmen zwar nur nach Einwilligung des*der antragstellenden Beschäftigten einholen. Wird die Einwilligung verweigert, kann der Antrag wegen „mangelnder Mitwirkung“ abgelehnt werden.
Beschäftigte sollten sich daher rechtzeitig von der SBV oder dem Personalrat beraten lassen und klären, ob im Einzelfall auf die Stellungnahme der Arbeitgeberin verzichtet werden kann.
Der festgestellte Grad der Behinderung sagt zunächst einmal nichts über die Leistungsfähigkeit des*der Beschäftigten an seinem Arbeitsplatz aus, sondern formalisiert vorliegende Funktionsbeeinträchtigungen in Wechselwirkung mit umweltbezogenen Barrieren.
So kann beispielsweise eine blinde Person mit einem GdB von 100 an einem sehbehindertengerecht ausgestatteten Arbeitsplatz keine gravierenden Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit zeigen. Demgegenüber vermag eine an Multipler Sklerose erkrankte Person mit einem GdB von 50 aufgrund eines episodischen Krankheitsverlaufs stärkeren Einschränkungen der Leistungsfähigkeit unterliegen. Gleichwohl können während symptomarmer Phasen sehr gute Arbeitsergebnisse verzeichnet und Krankheitsphasen damit kompensiert werden.
Der Umfang, in dem ein behinderter Mensch am Arbeitsleben teilhaben kann, kommt immer auf das Zusammenspiel von Umweltfaktoren, Funktionsbeeinträchtigung und ihren Ausgleichsmöglichkeiten sowie dem konkreten Tätigkeitsgebiet an. Eine Behinderung sagt per se nichts über die Qualität der Arbeitsergebnisse aus!