Der Geflüchtetenschutz in Europa ist Gegenstand politischer, juristischer und moralischer Kontroversen. Unstrittig ist lediglich die Notwendigkeit einer Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS): Das Dublin-System erodiert in seiner Ungleichbelastung europäischer Staaten und in mangelnder Akzeptanz durch Flüchtende; prekäre Kooperationszusammenhänge wie das EU-Türkei-Abkommen befeuern den Konflikt um den angemessenen Beitrag einzelner Staaten; und die Bedingungen an den EU-Außengrenzen unterschreiten grund- und menschenrechtliche Standards evident. Im Zug der Corona-Pandemie spitzten sich sowohl Umsiedlungsforderungen als auch Abschottungspolitiken drastisch zu.
Es ist jedoch umstritten, wie eine Reform aussehen sollte. Während viele Nationalstaaten in der politischen Diskussion Eigeninteressen durchzusetzen versuchen, liegt die Notwendigkeit grenzüber-schreitender Lösungen auf der Hand, die die Interessen aller beteiligten Akteure in fairer Weise berücksichtigen.
Die zentrale Frage der Kooperationsgruppe lautet, welche Szenarien und Formen der gemeinsamen Verantwortung für Geflüchtete – sowohl hinsichtlich der internen Verantwortungsteilung als auch hinsichtlich der Verantwortungsübernahme gegenüber Drittstaaten – denkbar sind und wie diese normativ zu bewerten sind. Die Kriterien für diese Bewertung entwickelt die Kooperationsgruppe in inter- und multidisziplinärer Zusammenarbeit der Rechtswissenschaften, der Philosophie und der Politischen Theorie. Dafür setzt sie juristische Maßstäbe, die sich im europäischen Mehrebenensystem finden – insbesondere die grund- und menschenrechtlichen sowie EU-verfassungsrechtlichen Vorgaben – in einen Dialog mit moralischen, gerechtigkeitstheoretischen und demokratietheoretischen Überlegungen.
Aufbauend auf der Grundfrage, inwiefern denkbare Formen gemeinsamer Geflüchtetenverantwortung gerechtigkeitstheoretischen, demokratietheoretischen sowie menschen- und flüchtlingsrechtlichen Standards entsprechen, richtet die Kooperationsgruppe ein besonderes Augenmerk auf eine Reihe konkreter Anschlussfragen, die dieser Kontext unmittelbar aufwirft. Darunter fallen die Frage, wie die Interessen Geflüchteter und die Interessen von Nationalstaaten in einem Verteilungssystem gegeneinander abzuwägen sind, sowie die Frage nach normativen Herausforderungen der Externalisierung von Schutzaufgaben. Zu diesen zählt u.a. das Problem der Verantwortung, die ein Staat für Rechtsverletzungen trägt, die nach der Überstellung im Zielstaat erfolgen, aber auch die generelle Legitimität von sogenannten „refugee markets“, die Schutzaufgaben mittels eines ökonomischen Mechanismus verteilen. Schließlich möchte die Kooperationsgruppe gängige Grundannahmen der Allokationsfrage kritisch reflektieren und z.B. die europäische Perspektive und den Fokus auf Geflüchtete, welche die territorialen Grenzen Europas schon erreicht haben, hinterfragen.
Svenja Ahlhaus (Hamburg, GER)
Svenja Ahlhaus is a postdoctoral research associate in political theory at University of Hamburg. Her research focuses on democratic theory, membership and migration theory, and international political theory.
Matthias Hoesch (Münster, GER)
Matthias Hoesch is head of a project on the ethics of migration at the cluster of excellence Religion and Politics, University of Münster. His research focusses on political philosophy. Especially, he is interested in the ethics of refugee protection, territorial justice, the ethics of integration and Immanuel Kant's practical philosophy.
Susanne Mantel (Saarbrücken, GER)
Susanne Mantel is a postdoc researcher in philosophy at Saarland University (Saarbrücken) and has been a postdoc fellow at the DFG-funded center for advanced studies Justitia Amplificata (Rethinking Justice – Applied and Global) (Frankfurt/Berlin). She works on political philosophy, especially duties of admission and refugees, as well as the theory of normativity.
Petra Sußner (Berlin, GER)
Petra Sußner is based at Humboldt University Berlin. She is a senior researcher at the DFG research group Law-Gender-Collectivity and her research focuses on migration law, environmental law and the role of courts in european legal orders. She obtained her PhD at the University of Vienna in 2019 with a thesis on Forced Migration, Gender and Sexuality.