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Zentrum für Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter (ZPI)

Campus der Universität Bielefeld
© Universität Bielefeld

Theoretische & methodische Basierung

Methodische Ausrichtung

Das ZPI setzt Instrumente der empirischen Forschung aus dem gesamten Methodenspektrum ein. In quantitativer Hinsicht werden alle gängigen Studiendesigns und statistischen Auswerteverfahren angewendet. Das Spektrum erstreckt sich von Forschungsverfahren, die in den Bildungswissenschaften prioritär eingesetzt werden, bis zu quantitativen Ansätzen, die in der Gesundheits-/Versorgungsforschung dominieren. Die Auswahl von Forschungsverfahren erfolgt in Abhängigkeit der Fragestellung und kann sowohl konfirmatorisch als auch explorativ ausgerichtet sein. Eine Besonderheit ist, dass für komplexe Auswertungen im Bereich der Bildungsforschung Struktur­gleichungs­modelle verwendet wurden, die nun auch in den Bereich der Gesundheitsforschung am ZPI Eingang finden. Erfahrungen mit Evaluationsstudien bestehen in umfangreicher Hinsicht für Zwei- und Dreipunkt-Messungen (Prä-/Post-/Follow-up) bei möglicher randomisierter Zuordnung sowie unterschiedlichen Treatments mit und ohne Kontrollgruppen.

Qualitative Forschungsprojekte werden ebenfalls auf der Basis einer breiten metho­dischen Ausrichtung durchgeführt. Durch diesen Hintergrund werden verfügbare Methoden in spezifischer Orientierung (explorativ vs. genauer eingegrenzt) und unter Berücksichtigung verfügbarer Ressourcen eingesetzt. Dazu gehören insbesondere folgende Erhebungs- und Auswertungsverfahren:

  • teilnehmende Beobachtungen unterschiedlicher Strukturierungsgrade
  • qualitative Interviewformen unterschiedlicher Offenheit (z. B. Leitfadeninterviews, Experteninterviews, problemzentrierte Interviews, ero-epische Gespräche, Gruppen­diskussionen)
  • kategorisierende und ergänzend hermeneutisch-rekonstruktive Auswertungs­ver­fahren in der Interpretationsgruppe
  • qualitative typenbildende Inhaltsanalysen
  • Grounded Theory
  • integrative texthermeneutische Analysen
  • ethnographische Untersuchungsberichte.

Mit der Gründung des ZPI wurde ein vierjähriges Drittmittelprojekt zu Handlungs- und Bildungskompetenzen funktionaler Analphabet/innen (HaBil) abgeschlossen. Die umfangreichen empirischen und theoretisch-konzeptionellen Arbeiten des Projekts eröffnen diverse Anschlussstellen von Literalitätsforschung zu bildungs­soziologischen Perspektiven, die die anstehenden Arbeitsschwerpunkte im Forschungs­feld Bildung des ZPI mit bestimmen. Insbesondere soll die Bedeutung von Bildungsarmut für Lebens- und Teilhabechancen in der sozialen Praxis erschlossen werden.

Im Hintergrund der Forschungsarbeit stehen insbesondere Theorietraditionen der ungleichheitsbezogenen Gesellschaftsanalyse und Sozialisations­forschung. Dazu kommen Perspektiven der Alter(n)ssoziologie, der Generationen- und der Gemeinschafts­forschung. Die Analyse der Entstehung sozialer Ungleichheit sowie ihrer Auswirkungen auf Bildungschancen und auf Optionen der Bildungs­kapitalverwertung ist Dreh- und Angelpunkt der Arbeit.

Das Forschungsfeld Bildung ist entsprechend der ZPI-Konzeption auf Praxis­relevanz bzw. Transfer ausgerichtet. Konzepte für die Lehrerbildung werden entwickelt, in deren Mittelpunkt die „Passung“ von Herkunftsmilieu und Bildungs­habitus bildungsbenachteiligter Schüler/innen zu schulischen An­forderungen und Ansprüchen von Lehrkräften steht. Aufklärung über entsprechende Beurteilungsmechanismen und deren praktische Bedeutung für den Sozial­gradienten der Bildungschancen (PISA) wird als Beitrag zur Bildungs­gerechtigkeit verstanden. Geplant ist, übergreifend mit dem ZPI-Forschungsfeld Gesundheit ein Fortbildungsangebot zu etablieren und aus­zubauen.

Der Gesundheitsbegriff hat in den letzten Jahrzehnten einen umfangreichen Wandel erfahren, der den Gegenstand Gesundheit aus einer dualen Position zur Krankheit entrückt und das Verständnis über Gesundheit grundlegend erweitert hat. Die Perspektiverweiterung der klinisch-orientierten, krankheitsbezogenen und pathogenetischen Sichtweise erfolgt dabei um salutogenetisch-orientierte, eher gesundheitszentrierte Ansätze, die es ermöglichen, dass zahlreiche auch versorgungs­ferne Forschungsbereiche gesundheitsbezogene Fragestellungen aufgreifen und weiterentwickeln.

In der öffentlichen Wahrnehmung ebenso wie im wissenschaftlichen Kontext wird Gesundheit mittlerweile als mehrdimensionales Konstrukt verstanden, das sich in Form in seiner Ausprägung an das individuelle Wohlbefinden orientiert. Die individuelle gesundheitliche Entwicklung und der gesundheitliche Zustand werden durch das kontinuierliche Wechselspiel von physischen, psychisch-seelischen und sozialen Einflussgrößen bestimmt, Diese können als Risiko- oder Schutz­faktoren wirken können.

Sozialepidemiologische Befunde konnten in jüngerer Vergangenheit gesundheit­liche Ungleichheiten entlang des sozioökonomischen Gradienten auf Bevölkerungs­ebene identifizieren. Je besser der sozioökonomische Kontext, desto günstiger fällt die gesundheitliche Bilanz aus. Die konsistente Befundlage legt den Schluss nahe, dass individuelles gesundheitsbezogenes Verhalten als Resultat der Interaktion eines Individuums mit seinen Lebensverhältnissen und seiner soziale Umwelt verstanden werden kann. Der Einfluss von Sozialstrukturen auf individuelle Lebensläufe wird deutlich, wenn gesundheitsbezogene oder psycho­soziale Verhaltensweisen als Ergebnis von und eingebunden in gesellschaftliche Strukturen verstanden werden. Die Analyseeinheit bleibt in diesem Sinne nicht auf das Individuum beschränkt sondern wird um den sozio-kulturellen Kontext, in dem das Individuum eingebettet ist, ergänzt.

Diese naheliegende Schlussfolgerung eignet sich als Einstiegspunkt, um die Perspektive der ungleichheitsorientierten Gesellschaftsanalyse und Sozialisations­forschung für die Betrachtung des Untersuchungsgegenstandes Gesundheit einzubringen und ihr diagnostisches Potential für die Beschreibung und Erklärung der gesundheitlichen Lage von Bevölkerungsgruppen aus­zuschöpfen. Die Hinwendung der Gesundheitsthematik an die Sozialisations­forschung bietet zudem Anschlussmöglichkeiten, um die Relevanz gesundheits­bezogener Aspekte für den Bildungsbereich zu verdeutlichen und aufzugreifen.

Zahlreiche inhaltliche Verbindungslinien lassen sich zwischen der Sozialisations­forschung und dem Gegenstand Gesundheit identifizieren: Sie reichen von der Frage nach der Wechselbeziehung zwischen gesundheits­bezogenen Verhaltens­weisen und Sozialstruktur, über Fragen zur psychologischen Vulnerabilität und Resilienz, bis hin zu Fragen zum Erwerb von Sozialkompetenzen und sozialer Teilhabe sowie Fragen zu individuellen Zukunftsperspektiven.

Der grundlegende Theorierahmen rekurriert auf das Paradigma der ungleichheit­sorientierten Sozialisations­forschung, fragt also nach dem Verlauf von Sozialisationsprozessen unter sozial ungleichen Ausgangsbedingungen. Diese Ausrichtung wird zudem problemorientiert verstanden. Das heißt, im Vordergrund stehen soziale Probleme: Die soziale Reproduktion von Ungleichheiten, Ver­hinderungen, aber auch die Möglichkeiten der Demokratisierung von Teilhabe­chancen, die Entstehungsbedingungen von Risikobiografien im Bildungs- und Gesundheitsbereich sowie die Möglichkeiten der Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter.

Für die übergeordnete Theorieorientierung geht es nicht nur darum, Einzelbefunde zusammenzutragen, die Aufschluss über den Interaktionseffekt zwischen Umfeldbedingungen und Prozessen der Persönlichkeitsentwicklung geben. Viel weiter geht das Vorhaben, eine Theoriebasis in der Sozialisationsforschung zu erstellen, die interdisziplinär ist und damit Möglichkeiten erweitert, die vielen Einzelstränge der Diskussion über die Strukturen der Persönlichkeitsentwicklung zusammenzuführen. Damit wird vor allem die Zusammenführung der psycho­logischen, soziologischen und erziehungswissenschaftlichen Forschung adressiert, die wiederum als ein Projekt der Sozialisationsforschung bereits in den 1960er und 70er Jahren international zu großen Fortschritten in der Forschung geführt hat. Heute geht es darum, mit einer zusammenführenden Theoriebildung die Besonderheiten des Sozialiationsprozesses zu beschreiben. Wir unter­scheiden insgesamt drei Aufgabenbereiche, auf die eine Theoriebildung zielt:

1. Der Vermittlungsprozess, in dem gesellschaftliche Einflüsse in Interaktion mit der sich ausbildenden Persönlichkeit treten.

Hier liegt das eigentliche Zentrum der Sozialisationsforschung: Der Interaktions­prozess zwischen dem handelnden Individuum und den umgebenden sozialen und materiellen Strukturen, die Prozesse der Individualentwicklung initiieren und Sozialisationsumwelten verändern.

2. Die Entstehung von Persönlichkeitsmerkmalen, die an Umfeldbedingungen angepasst sind und damit zu einer Reproduktion von Merkmalen führen, die in einem jeweiligen Sozialisationsarrangement als typisch angesehen werden.

Dieser Aspekt fokussiert auf soziale Reproduktionsaspekte und ist für die Analyse von sozial ungleichen Teilhabechancen unverzichtbar. Damit wir eine Konzentration auf die Zusammenführung von Erkenntnissen angestrebt, die sowohl in der Sozial- und Entwicklungspsychologie (u.a. in der Agencyforschung) als auch in der sozialwissenschaftlichen Forschung (Habitusforschung) inzwischen breit vorliegen. Ziel dieser Zusammenführung ist, eine Theorie der Sozialisation zu erstellen, die diese reproduktiven Effekte aufnehmen kann. Ansätze hierzu stellen in der AG die Vorarbeiten zu einer Theorie der Dispositionen bzw. einer dispositionalen Sozialisationstheorie dar.

3. Die Entstehung von untypischen Persönlichkeitsmerkmalen, die Reproduktions­prozesse unterbrechen, die also keine Anpassung an ein Sozialisationsarrangement bedeuten, sondern zu einer Reflexion von eigenen Entwicklungsprozessen führen, zur Steigerung von Autonomie- und Emanzipations­potenzialen.

Dieser Aspekt schließt an eine lange Diskussionslinie in der Sozialisations­forschung an, mit der seit den 1960er Jahren Prozesse gefragt wird, welche individuellen und gesellschaftlichen Autonomiepotenziale durch Prozesse der Sozialisation eröffnen werden. Dieser Aspekt der Umkehrung von Effekten der bloßen sozialen Reproduktion ist für die Sozialisationsforschung zweifelsohne unverzichtbar. Zum einen, weil die Erweiterung von Handlungsspielräumen und die Reflexion der eigenen Entwicklung zu einem Strukturmerkmal der Persönlichkeitsbildung gehört (wiewohl als Strukturmerkmal nicht unbedingt immer sichtbares Merkmal). Zum anderen, weil damit der Fokus auf die Veränderung von gesellschaftlichen Ausgangsbedingungen gelegt wird, die wiederum als Funktion der Ausschöpfung von individuellen Autonomiepotenzialen verstanden werden können.

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