Nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 21. Juni 1941 wurden Millionen sowjetischer Soldaten und Soldatinnen getötet, verwundet oder von der Wehrmacht gefangen genommen. Über drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene sind während ihrer Haft getötet worden bzw. gestorben; jeder Dritte von denen, die zwischen 1941-45 ins „Reich“ gebracht wurden, durchlief das größte der von den Nationalsozialisten errichteten „Stammlager“ – das „Stalag 326 (VI K) Senne“ in Schloß Holte-Stukenbrock. Mehr als 310.000 vor allem sowjetische, aber auch französische, polnische, serbische, italienische und belgische Kriegsgefangene wurden zwischen 1941 und 1945 im „Stalag 326“ registriert und untergebracht. Zehntausende von ihnen sind dort gestorben oder wurden getötet und dort eher verscharrt als beerdigt.
Nach dem Krieg wurde das Gelände verschiedentlich genutzt: als alliiertes Internierungslager, als Flüchtlingsunterkunft und für die Ausbildung der NRW-Landespolizei. Eine Gedenkstätte bzw. ein Gedenkort entstand dort sukzessive, meist zum Trotz oder gar in Widerspruch zu diesen diversen Nachnutzungszwecken, seit den späten 1960er Jahren zunehmend organisiert und professionalisiert und zudem stets gezeichnet von den politisch-ideologischen Frontkämpfen des Kalten Krieges, die lange jede Thematisierung sowjetischen Leidens im Zweiten Weltkrieg zum Politikum machte. Nach Jahrzehnten des vor allem zivilgesellschaftlichen und stets höchst umstrittenen Engagements für den Ort und seine Relevanz als zentralem Tat- und Leidensort der NS-Gewaltgeschichte hielt Bundespräsident Joachim Gauck dort im Mai 2015 eine viel beachtete Rede. Sie verankerte nicht nur dieses in der bundesrepublikanischen Demokratie- und Aufarbeitungsgeschichte einzigartige Erinnerungsengagement im öffentlichen Bewusstsein und über die Region hinaus. Sie trug darüber hinaus mit dazu bei, dass sich der Bund und das Land NRW gemeinsam zur Errichtung eines internationalen Gedenk- und Lernortes „Stalag 326“ verpflichteten. Aufgrund der jüngsten Entscheidung der Gütersloher CDU-Fraktion sowie der FWG/UWG und der AFD gegen eine Beteiligung an den Betriebskosten einer zukünftig erweiterten Gedenkstätte ist die Realisierung des Projekts derzeit stark gefährdet.
Im Wintersemester 2022/23 beschäftigten sich Studierende der Universität Bielefeld im Rahmen des Projektseminars „Gedenke, wo du stehst!“ zusammen mit Prof. Christina Morina und Jens Hecker (ehemaliger Mitarbeiter in der Gedenkstätte Stalag (VI K) Senne) intensiv mit der Geschichte dieses zivilgesellschaftlichen Engagements, seinen Akteuren und Akteurinnen sowie den Motiven, Prämissen, Bedingungen und Dynamiken des mit dem „Stalag“ verbundenen Gedenkengagements. Die Ergebnisse des Projektseminars werden in einem Sammelband veröffentlicht, der voraussichtlich 2024 erscheint.