Nordrhein-Westfalen war nicht immer Nordrhein-Westfalen. Die Region hat eine bewegte Geschichte. In dieser Unterrichtsreihe soll das 19. Jahrhundert beleuchtet werden. Als Das Heilige Römische Reich im Rahmen der Napoleonischen Kriege aufgelöst wurde, gründete Bonaparte das seinem Bruder Jerome unterstehende Königreich Westfalen. Nach der Völkerschlacht bei Leipzig endete die französische Vorherrschaft und im Zuge des Wiener Kongresses wurde Westfalen eine Provinz des Königreichs Preußen. Fernab der „Geschichte großer Männer“ kann die Chronik der Gemeinde Mennighüffen (heute ein Stadtteil von Löhne, Nordrhein-Westfalen) einen intimeren Blick in die Geschichte kleinerer Ortschaften in Westfalen gewähren.
Die Chronik der Gemeinde Mennighüffen umfasst zunächst die Jahre 1818 bis 1848 und geht dann in knapper Form weiter bis zum Jahr 1886. Im Zeitabschnitt 1818 bis 1848 werden detailliert für jeden Monat des jeweiligen Jahres die Getreidepreise, Unglücksfälle, Sterbefälle, Witterungsverhältnisse, Regierungserklärungen, Trauungen und Geburten in der Gemeinde dokumentiert. Die für die Unterrichtsreihe ausgewählten Abschnitte umfassen die Jahre 1805 bis 1848. Zu den Quellen: Der Chronik vorangestellt ist eine Verordnung (AB1). Sie legen fest, was die Chronik beinhalten soll und was nicht. Die eigentliche Chronik startet mit einer Vorgeschichte. Das heißt, das 18. Jahrhundert wird kurz abgehandelt. Dabei schildert der Chronist bissig satirisch (es wird nicht ganz ersichtlich, wer der Chronist eigentlich ist) mit einigen Seitenhieben auf die neuen Herren die Geschichte der Gemeinde unter der französischen Herrschaft Napoleons (AB2). Vergleicht man diesen Abschnitt mit anderen Quellen aus der Zeit, dann ist sie geradezu typisch für die damals entstehende Nationalbewegung. AB3 befasst sich mit dem Ausbruch der Cholera in Mennighüffen im Jahr 1831 und den Maßnahmen zu ihrer Eindämmung. Eine weitere naturwissenschaftliche Beobachtung befasst sich mit einem astronomischen Ereignis: Ein Komet erscheint am 16. März 1843 über Mennighüffen (AB4). Am 7. Juni 1840 stirbt der preußische König Friedrich Wilhelm III. In Mennighüffen wird getrauert. Das Testament Wilhelms III. erscheint in einer gedruckten Fassung und die königstreuen Beileidsbekundungen in AB5 geben Einblicke in die Staatstreue der Bevölkerung. In vielen anderen Gemeindechroniken dürfte man ähnliche Äußerungen finden. In der letzten Quelle berichtet der Chronist kurz und knapp von der Märzrevolution 1848 in Berlin (AB6). Schwappte die Revolution über von der Hauptstadt auf die Provinz oder hatte sie keine Auswirkungen?
Die Mennighüffener Chronik zeigt die Ereignisse der „großen“ Politik und der alltäglichen Merkwürdigkeiten aus dem Blickwinkel einer Landgemeinde. Die ausgewählten Quellen können verdeutlichen, wie viel beziehungsweise wie wenig von dem, was in den Zentren der Macht entschieden wurde, jenseits dieser Zentren eine Rolle spielte. Der Chronist stammt aus dem Bildungsbürgertum, verweist er doch von Zeit zu Zeit auf seine humanistische Schulbildung. Weil ähnliche Chroniken in allen Gemeinden des preußischen Staates geschrieben werden mussten, bietet es sich an, jeweils vor Ort nach entsprechenden Aufzeichnungen zu suchen und die Texte miteinander zu vergleichen. Die Materialien richten sich an SchülerInnen der Oberstufe und können zum Beispiel im Zusammenhang mit den Befreiungskriegen und der Revolution von 1848 eingesetzt werden.
Die Unterrichtsreihe ist als Gruppenarbeit konzipiert. Die Gruppen können schwerpunktmäßig einen Eintrag aus der Mennighüffener Chronik erarbeiten und dabei das jeweils zugehörige Material und Ergebnisse eigener Recherche miteinbeziehen. Die Gruppen können folgendermaßen eingeteilt werden:
Gruppe
Thema (Bezeichnung des Chronik-Eintrags)
Gruppe 1
Das Königreich Westfalen unter französischer Herrschaft (AB2)
Gruppe 2
Die Cholera-Pandemie (AB3) und Sichtung des Halley‘schen Kometen (AB4) – Naturwissenschaftliche Beobachtungen
Gruppe 3
König Friedrich Wilhelm III. und Westfalen als Provinz Preußens (AB5)
Gruppe 4
Die Revolution von 1848 (AB6)