Die Bielefelder Geschichtswissenschaft führt Mittelalter und Frühe Neuzeit zu einer Epoche „Vormoderne“ zusammen, die mit dem 6. Jahrhundert beginnt und um 1800 endet. Mit der Differenzierung zwischen Vormoderne und Moderne und der Thematisierung des Verhältnisses dieser beiden Epochen zueinander, bringen wir ein ungewöhnliches Periodisierungsmodell in die internationale Diskussion ein. Die Moderne entwirft sich immer auch in Bezug auf die Vormoderne, grenzt sich von ihr ab oder behauptet Parallelen und Kontinuitäten. Auch die Vormoderne wird entweder als das Andere der Moderne oder als ihr Vorläufer entworfen.
Eine kritische Reflexion der Gegenwart und des modernen Selbstverständnisses setzt eine intensive Beschäftigung mit der Vormoderne voraus. Der differenzierte Blick auf anders gelagerte kulturelle Praktiken, hierarchisch organisierte Gesellschaft oder auf Wirtschaftsformen, die nicht auf Wachstum orientiert waren, ermöglicht es, die Gegenwart, ihre Selbstentwürfe und ihre Geschichtsbilder kritisch zu hinterfragen. Gleichzeitig eröffnet die Analyse vergangener, fremder Phänomene Horizonte, um anders oder neu über Gegenwart und Zukunft nachzudenken. Die Betrachtung der Vormoderne versucht auch immer eine Antwort auf die Frage zu geben, in welcher Zeit wir heute eigentlich leben und was ihre Spezifik ausmacht.
Darüber hinaus wirft das Periodisierungsmodell Moderne/Vormoderne Fragen nach der Differenzierung der Epoche auf: In welchem Maß besitzen Mittelalter und Frühe Neuzeit einen je eigenen Charakter? Wie prägend waren die Veränderungen um 1200 (Städte, Universitäten) oder 1500 (Luther, Columbus, Gutenberg) oder um 1800 (Französische Revolution und Industrielle Revolution)? Und welche Relevanz haben sie aus einer globalen Perspektive und für verschiedene soziale Schichten?
Unsere Arbeiten zur Sozial- und Kulturgeschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit sind einer theoriegeleiteten Geschichtswissenschaft verpflichtet, die über die eigene Disziplin hinausweist: Wir arbeiten mit konzeptionellen Angeboten, wie sie unter anderem die Sozial- und Kulturwissenschaften für die Analyse gesellschaftlicher Phänomene bereithalten.
In Forschung und Lehre befasst sich der Profilbereich ‚Vormoderne‘ mit einem breiten Themenspektrum:Vormoderne Frömmigkeit,Geschlechterverhältnisse, Gewalt und Konfliktregulierung, Migration, Ökonomien, Stadtkulturen oder das Verhältnis zwischen Umwelt und Gesellschaft. Wir verfolgen diese Themen lokal, in Europa oder in der Welt. Ein besonderes Augenmerk richtet sich auf Dynamiken sozialen Wandels in den vermeintlich starren Gesellschaften der Vormoderne.
Der Profilbereich veranstaltet ein wöchentlich stattfindendes Kolloquium ‚Vormoderne‘, in dem sowohl namhafte Referent*innen aus dem In- und Ausland als auch Bielefelder Historiker*innen vortragen. Studierende und auswärtige Gäste sind willkommen.
In den Bachelorstudiengänge bieten Lehrende des Profilbereichs Hauptmodule zur mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte an. Darüber hinaus führen wir gemeinsam mit Lehrenden der modernen Geschichte (team teaching) einen vierstündigen Grundkurs durch, der über zwei Semester in das geschichtswissenschaftliche Arbeiten einführt. Im Master können die Studierenden einen Schwerpunkt auf die Geschichte der Vormoderne legen und sich diesen als Profil auf dem Masterzeugnis ausweisen lassen.
Außerdem trifft sich der Profilbereich einmal im Semester, um aktuelle Forschungsfragen und -vorhaben zu diskutieren. Zu diesen Treffen sind Interessierte herzlich willkommen; bitte nehmen Sie dazu mit dem Sprecher des Profilbereichs Kontakt auf.
Sprecher: Silke Schwandt
Kontakt: vormoderne-geschichte@uni-bielefeld.de