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Forschung

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Vortragsreihe ORDEX

Wir möchten alle Interessierten herzlich zur Vortragsreihe "Organisation, Dauer und Eigendynamik von Gewalt" einladen. Ziel der Vortragsreihe ist es, Ergebnisse aus der ORDEX-Forschungsgruppe vorzustellen und den Austausch des Projekts mit anderen Wissenschaftler*innen zu fördern. Dafür haben wir gezielt ein statusübergreifendes Format gewählt, das - angelehnt an die Struktur der Forschungsgruppe - neben Professor*innen und Promovierenden auch Studierende mit Vorträgen zu Wort kommen lässt.

  • Programm der Vortragsreihe ORDEX Sommersemester 2019
  • Programm der Vortragsreihe ORDEX Wintersemester 2018/2019
  • Programm der Vortragsreihe ORDEX Sommersemester 2018

Vortragsreihe ORDEX Sommersemester 2019

Das Verbreiten oder Zitieren der Folien ist nur in Absprache mit der jeweiligen Autorin bzw. dem Autor möglich.

Der Beitrag widmet sich aus einer theoretisierenden Perspektive den Entwicklungen gewaltsoziologischer Forschung und konstatiert, dass Gewalt hier selbst zu einem Problem geworden ist. Dies beruht auf der seit den 1990er Jahren fortwährenden Verortung im Rechtfertigungskontext des polarisierenden etymo-logisch-semantischen Spektrums von violentia und potestas. Eine dem Theoretisieren entsprechende methodologische (Selbst-)Aufklärung entdeckt hingegen das begriffliche Konzept der verkörperten Gewalt, das die disparaten Positionen bzgl. der Sach-, Zeit- und Sozialebene von Gewalt integriert und damit einen neuen Weg für eine Soziologie der Gewalt aufzeigt.

Folien zum Vortrag

Der empirische Ausgangspunkt des Vortrags ist der Fall eines augenscheinlichen Amokalarms in einer Schule. Je nach Klasse wird der Alarm unterschiedlich wahrgenommen. Manchmal als bedrohlich, manchmal als störend und langweilig. Wie kommt es zu diesen Unterschieden? In der neueren Gewaltforschung ist die situationistische Perspektive stark vertreten. Die theoretische Auseinandersetzung damit, was eine Situation als solche klassifiziert, wird jedoch bisher selten geführt. Der Vortrag zeigt mit Bezug auf Ergebnisse der Katastrophenforschung von Hendrik Vollmer am empirischen Fall des Amokalarms, was sich mit einem klaren Situationsbegriff entdecken lässt. Der analytische Fokus liegt dabei auf der Frage, wie eine Bedrohung hergestellt wird. Es kann gezeigt werden, dass sich durch einen den Handlungen der Akteure folgenden Situationsbegriff der Frage nachgehen lässt, wie Gefährlichkeit interaktiv von den beteiligten Personen sozial konstruiert wird.

Der Beitrag beschäftigt sich mit militärischem Handeln als staatlich sanktioniertem Gewalthandeln, das in der Regel anhand rechtlicher Kriterien (erlaubt/nicht erlaubt) beurteilt wird und häufig mit einer unterkomplexen Sicht auf das Militär und militärische Einsätze einhergeht. Unter Rückgriff auf das Konzept der „Zonen der Gewalt“ von Jan Philipp Reemtsma wird stattdessen dafür plädiert, militärisches Handeln als Arbeit an den Grenzen zwischen dem Erlaubten, Verbotenen und Gebotenen zu konzipieren und entsprechend empirisch zu untersuchen. Als Fallbeispiel, an dem dieses Vorgehen schlaglichtartig expliziert werden soll, dient die durch die Bundeswehr angeordnete Bombardierung von zwei Tanklastzügen in Kunduz/Afghanistan von 2009, die den Tod von über 100 Menschen (darunter auch Kindern) zur Folge hatte.

Jan Philipp Reemtsma hat 2015 in seinem Abschiedsvortrag für das Hamburger Institut für Sozialforschung grundlegend in Zweifel gezogen, dass bestimmte Formen von Gewalt sich überhaupt erklären lassen, und seine Auffassung zum Ausdruck gebracht, die Sozialwissenschaften mögen sich stattdessen um adäquate Beschreibungen bemühen. Unser Vortrag greift diese methodologische Debatte auf und schlägt eine analytische Perspektive vor, die Reemtsmas Gewalttheorie mit neueren Ansätzen aus der Bewegungsforschung verknüpft, um den Zusammenhang von diskursiven Prozessen und der Emergenz politischer Gewalt zu untersuchen. Diese Perspektive wird exemplarisch auf den Fall der „Bürgerwehr Freital“ angewandt, die im Zeitraum Juni bis November 2015 mindestens fünf Sprengstoffanschläge auf Geflüchtete und politische Gegner*innen im sächsischen Freital und dem angrenzenden Dresden verübte.

Die sozialwissenschaftliche Gewaltforschung pflegt auf den ersten Blick ein kontroverses Verhältnis dazu, den von ihr gewählten Gegenstand zu erklären – unabhängig davon, wie sie diesen Gegenstand „Gewalt“ jeweils zuschneidet. Auf den zweiten Blick ist die Diagnose einer explanatorischen Kontroversität der Gewaltforschung allerdings Schönfärberei. Hier ist nur der Wunsch, es möge doch eine elaborierte Auseinandersetzung darüber geben, ob und wie Gewalt erklärt werden soll resp. kann, der Vater des Gedankens. Denn nüchtern betrachtet pflegt die Branche kein kontroverses, sondern ein ignorantes Verhältnis zu erklärungstheoretischen Fragen. Neben dem Problem, welche Voraussetzungen die Erklärung von Gewalt hat, widmet sich der Vortrag mit Blick auf „organisierte Gewalt“ der Frage, welche analytischen Chancen und Grenzen mit Ebenenerklärungen einerseits, mit prozessualen Erklärungen anderseits verbunden sind.

Hilfe wird in der Regel als etwas verstanden, das gewaltvolle Verhältnisse auflöst. Unter welchen Umständen „Hilfe“ und „Helfer_in zu sein“ gewaltvolle Strukturen stützt, verstärkt und als Tarnung für gewaltvolles Handeln dient, wird in diesem Vortrag aus der Perspektive einer betroffenen Person besprochen. Im Fokus stehen psychiatrische Kliniken und stationäre Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe.

Folien zum Vortrag

Vortragsreihe ORDEX Wintersemester 2018/2019

Wie kann Gewalt über mehrere Stunden und Tage ausgeübt werden? Der Vortrag wird sich, ausgehend von dieser Frage mit dem Ablauf der Terroranschläge von Mumbai 2008 und Paris 2015 befassen. Beide Anschläge zeichnen sich durch ein hohes Maß an Koordination, einer Variation von Gewaltanwendungen und zeitlicher Dauer aus. Die Anschläge sollen mit Randall Collins Konzept der Konfrontationsanspannung und ihrer Überwindung nachvollzogen werden. Dabei werden verschiedene Mechanismen thematisiert, die es ermöglichen, Gewalt über einen längeren Zeitraum auszuüben.

Der Vortrag thematisiert die Vorbereitung von Attentaten am Fall Breivik. Randall Collins (2013) stellt hierzu die These auf, dass durch die verborgenen Rituale auf der Hinterbühne des Täters emotionale Energie erzeugt wird, die beim Attentat abgerufen werden kann und dabei hilft, die Barriere aus Konfrontationsanspannung und -angst zu überwinden. Der Vortrag diskutiert die mikrosoziologische Analyse des Falls Breivik, in der sich zeigte, dass die Vorbereitung der Tat und die wiederholten Misserfolge zu starken Frustrationserlebnissen führten. Die emotionale Energie schien während der Vorbereitung immer wieder aufgebraucht zu sein und bedurfte daher eines Ausgleichs.

Gruppierungen, die regelhaft strafrechtlich relevante Gewalt gegen u.a. minderjährige Mitglieder anwenden, müssen verdeckt agieren, um die Auflösung der Gruppe durch Angehörige der Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden. Kultgruppen müssen daher intragruppal gezielt Strategien einsetzen, um erstens die misshandelten Minderjährigen sowie die erwachsenen Mitglieder am Verlassen der Gruppe zu hindern. Zweitens müssen die Gruppenmitglieder das Bestehen der Gruppe über die aktuelle Generation hinaus sicherstellen. Der Vortrag befasst sich mit den dazu genutzten Strategien der Interaktionskontrolle.

Die (vermeintliche) Grundlosigkeit und Willkürlichkeit von im öffentlichen Raum stattfindender Gewaltakte stellen Beobachter*innen vor analytische Probleme. Wie kann man Gewaltsituationen verstehen, in denen ein Mensch einem anderen Menschen Fußtritte gegen den Kopf versetzt, ohne dass der Gewaltsituation eine längere Interaktion vorausgegangen war? Ohne dass Gewaltausübender und Gewaltbetroffener sich kennen? Ohne dass der Gewaltausübende Freude und Lust an der Gewalt zu erkennen gibt? Um mich den Fragen zu nähern, werde ich anhand von Fallbeispielen rekonstruieren, wie diese Form der Gewalt polizeilich bearbeitet wird und fragen, wie diese Gewaltsituationen thematisiert und problematisiert werden. Die soziologisch spannende Frage lautet: Wie bestimmen und verändern (bestimmte) Gewaltsituationen im öffentlichen Raum die gesellschaftliche Wahrnehmung und Vorstellungen sozialer Ordnung?

Seit einigen Jahren wächst in der interdisziplinären Gewaltforschung das Interesse an raumtheoretisch gerahmten Analysen. Dabei ist »Gewaltraum« zu einem Referenzbegriff geworden, der suggeriert, soziales Leben im Krieg sei durch die Ausübung von und Furcht vor Gewalt bestimmt. Anhand einer ethnographischen Forschung in Kabul zeigt der Vortrag, dass die Raumdimension in den Dynamiken der Gewalt tatsächlich eine wichtige Rolle spielt, der Begriff Gewaltraum jedoch in die Irre führt. Er erläutert, wie Sicherheit sozial produziert wird und die Herstellung sicherer Orte zu einer zentralen Logik des Alltags wird.

Der Vortrag beschäftigt sich mit spontan-authentischen Liveaufnahmen als Forschungsmaterial. Ziel ist es, einen Beitrag für die Verwendung und Analyse dieser Aufnahmen in der qualitativen Sozialforschung zu leisten. Der Beitrag entwickelt durch die Vorstellung von Charakteristika sowohl eine Definition des Materials, als auch eine Methode, mit der diese Form von Liveaufnahmen notiert werden kann. Ausgehend von einer Reflexion der Transkriptionsarbeit an einem Video zu einem gewaltsoziologischen Projekt wird unter der Fragestellung, welche Anforderungen ein Notationssystem erfüllen sollte, um spontan-authentische Liveaufnahmen zu analysieren, ein methodischer Vorschlag gemacht: SPLINOS.

Der Vortrag stellt die Ergebnisse einer Studie vor, in der mit Hilfe von Clifford Geertz? dichter Beschreibung 12 Fälle untersucht wurden, in denen Frauen die sexuelle Selbstbestimmung von Männern durch den Einsatz sexualisierter Gewalt verletzten. Dabei wurden drei Formen sexualisierter Gewalt herausgearbeitet, die im Vortrag vorgestellt werden: Überwältigung, Ausnutzen von Schlaf- und Rauschzuständen sowie Erzwingen der Einwilligung in sexualisierte Handlungen. Zudem wurden situative Faktoren im Sinne einer Generalisierung erarbeitet, die als notwendige und hinreichende Bedingungen für das Zustandekommen von Situationen sexualisierter Gewalt fungieren.

Vortragsreihe ORDEX Sommersemester 2018

In der soziologischen Gewaltforschung hat sich ein mikrosoziologischer Ansatz etabliert, mit dem die Situationen analysiert werden, in denen Gewalt ausgeübt wird. Im Vortrag wird diesem Ansatz – der maßgeblich von Randall Collins inspiriert ist – eine Kurzsichtigkeit attestiert, die dazu führt, dass Veränderungen in den Gewaltsituationen keine große Beachtung finden, obwohl sie gewinnbringend in die Analyse eingebaut werden könnten. Um diese Kurzsichtigkeit zu bearbeiten, werden im Vortrag die Grundzüge einer rahmenanalytischen Erweiterung vorgestellt.

Der Vortrag wird sich mit den konzeptionell und theoretisch wie empirisch bisher in der Soziologie kaum analysierten wie reflektierten sozialen Prozessen der Demütigung, Entehrung oder Entwürdigung auseinandersetzen. Zunächst wird die Frage thematisiert, wie sich Demütigungen in sozialen Prozessen selbst herstellen. Was sind die sozialen Bedingungen von Demütigungen und welche sozialen Dynamiken lassen sich unterscheiden? Im zweiten Teil des Vortrags gehen wir auf empirische Untersuchungen ein und stellen am Beispiel von polizeilichen Demütigungssituationen gewisse Grundmuster dar.

Nimmt die Gewalt in der Moderne ab oder zu? In der Literatur stehen sich zwei Lager mehr oder weniger unversöhnlich gegenüber: Eine optimistische Position, die Gewalthandeln als immer seltenere Abweichung oder Anomalie begreift; und eine pessimistische Gegenposition, die annimmt, dass dem Ideal der Gewaltlosigkeit die menschliche Natur selbst im Wege steht. Der Vortrag schlägt eine dritte Alternative vor: Statt über Modernisierungseffekte oder anthropologische Konstanten zu spekulieren, sollten wir versuchen, die sozialen Konstellationen präzise zu analysieren, in denen Gewalthandeln möglich und wahrscheinlich werden kann. Dann wird die empirische Beobachtung wichtig, dass private und staatliche Konfliktakteure seit dem 19. Jahrhundert zunehmend mit der Erwartung konfrontiert werden, auf Gewalt möglichst zu verzichten. Das führt nicht zwingend zum Rückgang von Gewalt, wie die Modernisierungsoptimisten meinen. Aber es stellt Gewalt vor ein Legitimationsproblem: Es macht Gewalthandeln zu einer Option, die mit der ablehnenden Beobachtung durch Dritte und also mit Legitimitätsverlusten rechnen muss, zugleich aber auch mit Aufmerksamkeitsgewinnen rechnen kann. Der Vortrag diskutiert theoretische Prämissen dieser These und erläutert sie an ausgewählten Beispielen.

In der Auseinandersetzung mit gewaltgezeichneten Situationen fällt auf, dass in einer Vielzahl von Fällen große Gefangenengruppen von bewaffneten Minderheiten kontrolliert werden. Die Tatsache, dass es einzelnen Täter*innen möglich ist, zahlenmäßig weit überlegene Gefangenengruppen zu internieren, zu deportieren und zu exekutieren, wird bisher von der soziologisch inspirierten Gewaltforschung entweder gar nicht erst hinterfragt, oder auf die Bewaffnung der dominierenden Partei zurückgeführt. In diesem Vortrag wird ein genauerer Blick auf die Frage geworfen, wie solche asymmetrischen Konfrontationssituationen eigentlich von der gewaltausübenden Partei kontrolliert werden. Am Fall des Massakers von Srebrenica werden insgesamt fünf „Techniken der Situationskontrolle“ vorgestellt, mithilfe derer – so die These – die Soldaten emotionale Dominanz über die Gefangenengruppe erzeugen und so die Situation über Tage hinweg bis zur Exekution der Gefangenen unter Kontrolle halten.

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