Vergleichspraktiken in der Genese, Verstetigung und Transformation von «Nationalliteratur». Der Fall Deutschschweiz
Doing Nationalliteratur ist comparing Nationalliteratur. Das Nachdenken über Literaturgeschichte, das Schreiben von Vorwörtern für Klassiker-Buchreihen, die literarischen Debatten im Feuilleton und das Feiern herausragender Literat*innen – all dies sind konkrete Praktiken, in denen Gruppen von Akteur*innen das ‘Objekt Literatur’ herstellen und begreifen. Dabei ist ‘Nationalliteratur’ ein traditionell wirkmächtiger Leitbegriff, der Praktiken expliziten aber vor allem auch impliziten Vergleichens hervorbringt: Wir sprechen vermeintlich natürlich von deutscher, Schweizer oder auch österreichischer Nationalliteratur – oftmals ist uns dabei nicht bewusst, welche Konstruktionsleistungen diesen Kategorien zugrunde liegen.
Das Projekt möchte diese Vergleichspraktiken anhand einer Fallstudie auf größerer Datenbasis mittels digitaler korpusbasierter Verfahren musterhaft sichtbar machen und ordnen.
In der innovativen, korpusbasierten Studie untersuchen wir ein Korpus deutschsprachiger Texte der Phase 1850-1950, die ‘Schweizer Literatur’ thematisieren. Wir fragen anhand dieser multilingualen und multikulturellen Praxisformation danach, wie Vergleichspraktiken eine ‘Nationalliteratur’ konstituieren und wie Leitbegriffe umgekehrt Vergleichspraktiken anstoßen. Dabei soll eine Bandbreite von Publikationsformen und Akteursgruppen berücksichtigt werden (u.a. literaturhistorische Monographien, Anthologie-Vorworte, Feuilleton-Leitartikel und Literaturpreis-Festreden).
Das Projekt ist als Proof of Concept angelegt, da es in mehrfacher Hinsicht Neuland betritt und die Tragfähigkeit einer praxeologisch informierten, vergleichstheoretischen Rekonstruktion von Nationalliteratur mittels computergestützter mixed methods erprobt.
Der praxistheoretische Zugang des SFB 1288 wird mit unserem Projekt an der Schnittstelle zwischen gesellschaftswissenschaftlicher Diskursgeschichte und kulturwissenschaftlicher Vergleichsforschung um eine computationelle literaturhistoriographische Perspektive ergänzt.