Sozialwissenschaftliche Beratungsansätze erleben jenseits von psychologischer und klinischer Beratung derzeit eine Hochkonjunktur, bedingt vor allem durch die Expansion der berufsbezogenen Beratungsformen Supervision und Coaching. Im Bereich der Unternehmensberatung sind es die personen- und personalbezogenen Beratungen die expandieren, vor allem Teamentwicklung und Organisationsentwicklung. Gleichzeitig werden traditionelle Beratungsangebote wie Erziehungsberatung, sozialpädagogische Beratung, Pflegeberatung etc. weiterhin stark nachgefragt und zudem neu formuliert, z.B. durch die Geschlechterperspektive, aber auch insbesondere im Kontext von Migration und kulturbezogenen Fragestellungen. Die Beratungsverbände selbst vernetzen sich derzeit zu einem Dachverband und formulieren Forderungen an eine künftig einzurichtende integrierte Beratungswissenschaft.
Quer zu den teilweise recht etablierten Beratungsfeldern z.B. in der Erziehungsberatung oder Eheberatung kommen Forderungen nach mehr Sensibilität hinsichtlich Geschlechterbeziehungen, kultureller Differenz und Generationsbeziehungen auch von Beratungsfeldern wie Frauenberatung, Aids-Beratung, Sexualberatung oder Beratung in kommunalen Gleichstellungsstellen. Diese reflektieren ihre diagnostischen und methodischen Kriterien bezogen auf Geschlecht als soziale Konstruktion und Geschlechterbeziehungen und wünschen sich mehr sozialwissenschaftliche Unterfütterung in Diagnose und Methoden.
Wissenschaftlich ist hier sowohl Forschungsbedarf wie auch Bedarf an wissenschaftlicher Weiterbildung und Vernetzung zu konstatieren, da geschlechtersensible Beratung als Ansatz bisher relativ unverbunden in einer Reihe von Beratungsfeldern vorhanden ist, sich diese Ansätze aber kaum aufeinander beziehen bzw. kaum ein Forschungs- und Erkenntnisstand erkennbar ist.
Etablierte Ansätze und Konzepte zur pädagogischen, psychosozialen und psychologischen Beratung werden mit wenigen Ausnahmen geschlechtsneutral gedacht. Sowohl übergeordnete Theorien, wie z.B. zur lebensweltlichen, zur personenzentrierten, psychoanalytischen und systemischen Beratung, als auch arbeitsfeldbezogene Ansätze wie Beratung als Ressourcenförderung, Beratungsansätze im Kontext von sozialrechtlicher Beratung (Berufsberatung, Seniorenberatung, Pflegeberatung) oder Supervision/Coaching abstrahieren von der sozialen Kategorie Geschlecht und beziehen die Geschlechterdimension weder in ihre diagnostischen, noch in Interventionskonzepte systematisch und begründet ein. Diese strukturelle und theoretische Geschlechterabstinenz der Wissensproduktion zur Profession und zum Arbeitsfeld Beratung steht in Widerspruch zum Tatbestand des symbolischen Systems der Zweigeschlechtlichkeit. Seit den 1990er Jahren sind dieser konzeptionelle Bias und seine Folgen Gegenstand geschlechterbezogener Analysen im Arbeitsfeld Beratung. Gleichzeitig haben sich in verschiedenen Beratungsfeldern wichtige geschlechtersensible Beratungsansätze und -konzepte platziert.
Das IFF der Universität Bielefeld hat mit dieser Veranstaltungsreihe den Diskurs um die Bedeutung einer geschlechtersensiblen Beratung mit den Schwerpunkten „Geschlechtersensible Beratung im Kontext von Alter“ und „Geschlechtersensible Beratung im Kontext von Pflege und Demenz“ sowie „Geschlechtersensible Beratung im Kontext von Beruf“ und „Geschlechtersensible Beratung als Gewaltprävention“ (wieder-)eröffnet. Weitere Tagungen zu anderen Schwerpunkten werden folgen.
Beteiligte Wissenschaftlerinnen: Prof. Katharina Gröning, Dr. Anne-Christin Kunstmann, Bianca Radtke-Röwekamp
Finanzierung: Eigenmittel
Veröffentlichung: Gröning, Katharina; Kunstmann, Anne-Christin & Neumann, Cornelia (Hrsg.) (2015): Geschlechtersensible Beratung Traditionslinien und praktische Ansätze. Gießen: Psychosozial-Verlag