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Forschung

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Forschung

Forschungsprofil

Am Arbeitsbereich werden eine Vielzahl von Forschungsthemen behandelt. Die folgenden Informationen können deshalb nur exemplarisch sein. Theoriearbeit ist ein stark individualisiertes Geschäft, jedes Mitglied es Arbeitsbereichs geht seinen eigenen Interessen nach, eine überindividuelle Koordination und Angabe übergreifender Arbeitsschwerpunkte ist nur begrenzt möglich.

Prof. André Kieserling arbeitet an der Weiterentwicklung der Systemtheorie Niklas Luhmanns. Das umfasst etwa Fragen wie das Verhältnis von Schichtung und funktionaler Differenzierung oder die Bedeutung von Komplementärrollen für die Architektur der modernen Gesellschaft. Wenn Schichtung nicht verschwindet, sondern hartnäckig reproduziert wird - wie steht das zu der Aussage, dass die moderne Gesellschaft als ihre primäre Differenzierungsform funktionale Differenzierung verwendet? Wenn die unterschiedliche Verteilung von Lebenschancen je nach Schichtherkunft einer Person nach wie vor zu beobachten ist, inwiefern kann man trotzdem sagen, dass Schichteffekte zurücktreten? Lässt sich etwa zeigen, dass Schichtzugehörigkeiten und Schichtunterschiede kaum mehr öffentliche, von Berufsrollen geprägte Situationen strukturieren, sondern sich überwiegend "nur" in privaten Lebens- und Konsumstilen ausdrücken? Wenn moderne Funktionssysteme nicht nur Berufs- oder Leistungsrollen herausbilden (wie Arzt, Lehrer, Politiker, ...), sondern auch Laien- oder Komplementärrollen (wie Patient, Schüler, Wähler, ...) - wie ist dieser zweite Rollentyp genau zu verstehen? Können Komplementärrollen gegenüber anderen Rollen derselben Person ausdifferenziert oder verselbständigt werden, so dass sie primär dem jeweiligen Funktionssystem zugehören und nicht ein Bindeglied zur "Gesellschaft im Ganzen" darstellen? Welche Rolle spielt die größere Irrationalität, die dem Laienrollenträger im Vergleich zum Leistungsrollenträger zugebilligt wird - kann sie diese Ausdifferenzierungsleistung, die Abkopplung von der Determination durch andere Rollen, tragen?

Das Anliegen von Prof. Volker Kruse ist, soziologische Theoriekonstruktion mit historischer Beobachtung (auf der Basis geschichtswissenschaftlicher Forschung) zu verbinden. Dabei kann zum einen die historische Beobachtung als kritisches Korrektiv in konstruktiver Absicht, produktive Irritation und Impulsgeber soziologischer Theoriebildung fungieren, zum anderen lassen sich mit Hilfe soziologischer Theorien neuartige Perspektiven auf historische Gegenstände entwerfen.
Ein Beispiel dafür sind die Forschungen zur kriegsgesellschaftlichen Moderne. Laut soziologischer Theorie differenziert sich moderne Gesellschaft in autonome, selbstreferentielle Funktionssysteme (Wirtschaft, Politik, Recht, Wissenschaft usw.) aus, die sich intern weiter differenzieren. Unter den Bedingungen großer totaler Kriege ist, wie an Beispielen der Weltkriegsgesellschaften gezeigt wird, eine umgekehrte Tendenz sichtbar: der Verlust an Autonomie der Funktionssysteme und die Herausbildung einer diktatorischen politisch-militärischen Spitze. Das ist zwingende Konsequenz kriegerischer Imperative, denn eine Mobilisierung für einen großen totalen Krieg kann nur zentral gesteuert werden. Für den Kriegserfolg notwendig ist auch eine Minimierung innerer Konflikte. Daher bilden sich in den Weltkriegen patriotische Vergemeinschaftungen heraus, in die auch vormals exkludierte Sozialgruppen wie Arbeiter/innen eingeschlossen sind. Exkludiert werden hingegen sogenannte "feindliche Ausländer/innen". Der Mobilisierungswettlauf zwischen den Kriegsparteien mündet in das "kriegsgesellschaftliche Dilemma" - Die moderne Gesellschaft lässt sich als Wechselspiel von zivilgesellschaftlicher und kriegsgesellschaftlicher Moderne verstehen. Nicht wenige Strukturen, die wir heute als "modern" wahrnehmen, wurzeln wesentlich in großen Kriegen, wie z. B. Tarifvertragssystem, betriebliche Mitbestimmung oder staatsbürgerliche Rechte wie allgemeines gleiches Wahlrecht für alle.
Ein anderes historisch-soziologisches Erkenntnisinteresse Kruses richtet sich auf den Ort von Utopien in der modernen Gesellschaft. Außerdem verfasst er Lehrbücher zur Geschichte der Soziologie.

Dr. Barbara Kuchler beschäftigt sich ebenfalls mit Kriegen und ihrem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Strukturen, allerdings eher in der umgekehrten Richtung. Wenn alle möglichen anderen Erscheinungsformen des Sozialen durch die grundlegende Differenzierungsform der Gesellschaft bestimmt oder mitbestimmt sind, gilt das nicht auch für Kriege? Lässt sich zeigen, dass Kriegsformen im groben historischen Wandel der jeweiligen Gesellschaftsform entsprechen? Inwiefern sind die Kriege der letzten zwei Jahrhunderte Kriege der modernen Gesellschaft, die in ihrer Ausgestaltung den Strukturen dieser Gesellschaft entsprechen? Weiter beschäftigt sie sich mit der Dynamik von Finanzmärkten: Wenn von der Verselbständigung der globalen Finanzmärkte die Rede ist, was ist genau mit Verselbständigung oder Autonomie gemeint? Hängt das mit der wachsenden Kommensurierungsfähigkeit von Finanzmärkten zusammen, das heißt mit ihrer Fähigkeit, unterschiedliche Arten von Wertpapieren und Kapitalgeschäften auf einen Nenner zu bringen und kontrolliert miteinander zu vergleichen? Johannes Schmidt koordiniert das Forschungsprojekt "Niklas Luhmann - Theorie als Passion" zur Erschließung des wissenschaftlichen Nachlasses Niklas Luhmanns und leitet die Editionsarbeit am Zettelkasten und den Manuskripten. Die Schwerpunkte seiner Forschungsinteressen liegen im Bereich der Systemtheorie, der Netzwerktheorie sowie der Theorie der persönlichen Beziehungen.

Forschungsprojekte

Niklas Luhmann - Theorie als Passion
Wissenschaftliche Erschließung und Edition des Nachlasses

Niklas Luhmann (1927-1998), der von 1968 bis 1993 an der Universität Bielefeld forschte und lehrte, ist neben Max Weber der berühmteste und wirkmächtigste deutsche Soziologe des 20. Jahrhunderts. Seine in über dreißig Jahren kontinuierlich entwickelte Sozial- und Gesellschaftstheorie ist international herausragend und allenfalls mit den sozialwissenschaftlichen Theorien von Jürgen Habermas, Pierre Bourdieu oder Michel Foucault vergleichbar, unterscheidet sich von diesen aber durch ihre besondere Theorie- und Begriffsarchitektur, ihren Universalitätsanspruch sowie ihre interdisziplinäre Anschlussfähigkeit. Der umfangreiche wissenschaftliche Nachlass Luhmanns, den die Universität Bielefeld mit Unterstützung der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung und des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft im Jahr 2011 erwerben konnte, lässt den Autor und sein Theoriegebäude diesseits seiner publizierten Werke sichtbar werden und wird in seinem Informationsgehalt in der neueren Ideengeschichte allenfalls durch den Nachlass Edmund Husserls übertroffen. Dieser Erkenntniswert gilt insbesondere für das Zentrum der Luhmannschen Theoriearbeit, den ca. 90.000 Notizzettel umfassenden Zettelkasten. Daneben umfasst der Nachlass annähernd 200 nichtpublizierte Manuskripte von teils erheblichem Umfang.
Das Ziel des von der Akademie der Wissenschaften und der Künste Nordrhein-Westfalen geförderten Langzeitprojekts (2015-30) ist die Sicherung, Erschließung, werkgenetische Erforschung und kritische Edition des wissenschaftlichen Nachlasses Niklas Luhmanns. Zu diesem Zweck werden die bewahrenswerten Teile des Nachlass (Manuskripte, Zettelkasten, Korrespondenz, Bibliothek etc.) zunächst archivarisch gesichert und in den Teilen, die wissenschaftlich erschlossen werden sollen, digitalisiert sowie für die weitere Bearbeitung bereitgestellt. Die daran anschließende kritische Edition will den Luhmannschen Nachlass als geistesgeschichtliches Dokument der wissenschaftlichen Forschung sowie der interessierten Öffentlichkeit zugänglich machen. Zu diesem Zweck wird in Kooperation mit dem Cologne Center for eHumanities (CCeH) ein allgemein und frei zugängliches Informationsportal aufgebaut, auf dem eine benutzerfreundliche digitale Präsentation aller wissenschaftlich relevanten Bestandteile des Luhmannschen Nachlasses erfolgt. Darüber hinaus bietet das Portal durch die Präsentation von Audio- und Videodokumenten sowie eine umfassende Bibliographie weitergehende Informationen zum Werk und seinem Autor.

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